Author: Emi Schuri

  • Unsere re:publica 2024

    Wow, die diesjährige re:publica war wieder ein absolutes Highlight für konnektiv. Einen Monat später möchten wir zurückblicken und euch an unseren Highlights des Programms und den Einblicken, die wir auf der re:publica gewonnen haben, teilhaben lassen. Natürlich waren wir nicht nur als Zuschauer*innen dabei, sondern sowohl mit Konnektiv als auch mit GIG wieder Teil des Programms!


    Unsere Minne leitete einen wunderbaren Workshop, der sich mit der Notwendigkeit von Handarbeit und Kreativität in zunehmend digitalen Zeiten beschäftigte:„Prints Charming: Handcraft Memories without Ctrl+Z – A Workshop for Analog Artistry.“ In diesem kreativen Workshop haben die Teilnehmer*innen gelernt, warum es wichtig ist, über den Erhalt von handwerklichen Fähigkeiten zu sprechen und haben die Freude an handwerklichen Tätigkeiten und traditionellen Druckverfahren neu entdeckt.

    Unsere Geraldine moderierte an allen drei Veranstaltungstagen viele spannende Sessions. In diesen Diskussionen ging es unter anderem um technologische Veränderungen in der Arbeitsweltden Schutz der Demokratie und die Herausforderungen der Wissenschaftsfreiheit. Über geschlechts- und generationenspezifische Barrieren zu digitaler Teilhabe sprach Geraldine in der Session „Digitale Teilhabe sichern – Perspektiven der Generationen- und Geschlechtergerechtigkeit“ mit Bundesfamilienministerin Lisa Paus, Kathrin Demmler, Katharina Kunze, und Iris Plöger.

    Spannend war auch die Session „Elon Musk’s Utopia“, die eine utopische Vision von Mensch-Maschine-Interaktionen präsentierte.

    Besonders interessant war außerdem Geraldines Interview mit Steffi Lemke, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz zum Thema Right to Repair. Im Rahmen der GIG Session und im anschließenden gemeinsamen Austausch mit Expert*innen über die Right-to-Repair-Bewegung, wurden Herausforderungen und Chancen im globalen Kontext beleuchtet.

    Mehr zum Thema Right-to-Repair und wie es um die Umsetzung dieser Forderung steht, erfahrt ihr in der nächsten Ausgabe unseres Konnektiv_Impuls! Falls ihr ihn noch nicht abonniert habt, könnt ihr euch hier dazu anmelden, um keine Ausgabe zu verpassen.

    Einige der Sessions sind auf YouTube zu finden, die Links sind hier im Text verlinkt.

    Wir sind dankbar, wieder Teil der re:publica gewesen zu sein. Wie jedes Jahr haben wir zahlreiche wertvolle Einblicke gewonnen und auch eine tolle Zeit mit Freund*innen und Kolleg*innen aus unserem Netzwerk verbracht. Wir freuen uns auf nächstes Jahr!

  • Open Source Community: WordPress

    CC0 licensed photo by Musarrat Anjum Chowdhury from the WordPress Photo Directory.

    Jenseits des Codes: WordPress und die Kraft der Open-Source-Community

    Bisher haben wir euch in unserer Tool-Serie Softwares und Apps vorgestellt, die wir in unserem Arbeitsalltag benutzen. Der Großteil der von uns verwendeten Programme sind Open Source, das heisst sie werden von einer weltweiten Gemeinschaft von Entwickler*innen, Designer*innen und Enthusiast*innen unterstützt, die sich auf freiwilliger Basis zusammenschließen, um Projekte voranzutreiben und zu verbessern. Wie sich solch eine Community organisieren kann, schauen wir uns in dieser Ausgabe am Beispiel von WordPress an. Als ein bekanntes Beispiel für eine gut organisierte Open-Source-Community, die Menschen aus der ganzen Welt zusammenbringt, und ein Tool, das wir regelmäßig bei Konnektiv nutzen, eignet sich WordPress hervorragend für diese Ausgabe.

    Your first step … –

    Angefangen als einfache Blogging-Plattform im Jahr 2003 hat sich WordPress zu einem umfassenden CMS entwickelt, das von Einzelpersonen, Unternehmen und Regierungen auf der ganzen Welt genutzt wird. Auch Konnektiv nutzt WordPress für zahlreiche der Online-Plattformen, die unser Tech-Team aufbaut, beispielsweise für den Skala-CAMPUS, die Plattform KOPA oder Spenden mit Impact. WordPress zeichnet sich durch seine Flexibilität, Erweiterbarkeit und Benutzer*innenfreundlichkeit aus und bildet die Grundlage für Millionen von Websites aller Art. 

    Ohne die große Gemeinschaft, die sich für die Entwicklung und Organisation von WordPress einsetzt, wäre das alles nicht möglich. Doch wie strukturiert sich die lebendige Community?

    Bild links: CC0 licensed photo by Blazej Zablotny from the WordPress Photo Directory.
    Bild rechts: CC0 licensed photo by Ronnie Burt from the WordPress Photo Directory.

    … into the community!

    Die offizielle Website von WordPress bietet Zugang zu einer Fülle von Informationen und Ressourcen, darunter Dokumentationen, Foren und Entwickler*innenwerkzeuge. Zentrale Anlaufstelle für Menschen die sich einbringen möchten ist dabei make.wordpress.org. Dort finden sich zahlreiche Teams, die sich spezifischen Bereichen wie Core-Entwicklung, Design, Accessibility, Dokumentation und Community-Veranstaltungen widmen. Jedes Team arbeitet autonom, folgt dabei aber gemeinsamen Leitlinien und dem übergeordneten Ziel, WordPress zugänglicher und nutzer*innenfreundlicher zu gestalten. Daneben gibt es zahlreiche kostenlose Ressourcen um sich weiterzubilden und auf dem neusten Stand zu bleiben, darunter Videotutorials, Kurse und das offizielle Forum.

    Whether you’re a budding developer, a designer, or just like helping out, we’re always looking for people to help make WordPress even better.

    Make WordPress – offizielle Website

    Intern kommuniziert wird innerhalb der WordPress-Community vor allem über Slack und Matrix, zusätzlich gibt es in jedem Team wöchentliche textbasierte Online-Meetings. Die Gemeinschaftsaktivitäten beschränken sich jedoch nicht nur auf den digitalen Raum; es werden regelmäßig weltweite Events und Konferenzen organisiert, um Mitglieder aus verschiedenen Teilen der Welt zusammenzubringen und Ideen auszutauschen. Neben lokalen Meet-Ups sind es vor allem die WordCamps, die große Teile der Community zusammenbringen. Auf den mehrtägigen Veranstaltungen finden eine Vielzahl von Workshops, Vorträgen und Diskussionen zu Themen wie WordPress-Entwicklung, Design und Marketing statt, daneben bieten sie einen Platz für aktive Mitarbeit während den Contributor Days, bei denen Teilnehmer gemeinsam an der Verbesserung von WordPress arbeiten können.

    Diese WordCamps werden von lokalen Teams und Freiwilligen organisiert und sind in der Regel recht günstig gehalten, um eine breite Teilnahme zu ermöglichen. Diese Community-gesteuerten Veranstaltungen sind ein zentrales Element der WordPress-Kultur und tragen dazu bei, die Gemeinschaft zu stärken und den Zusammenhalt innerhalb der Community zu fördern. Sie bieten eine informelle und einladende Atmosphäre, in der Menschen aus allen Bereichen des Lebens zusammenkommen können, um ihr Wissen zu teilen und voneinander zu lernen.

    Meetup Page auf der Website von Meetup Berlin, zu sehen ist der Berliner Bär (Wappen von Berlin) auf dem WordPress Logo

    WordPress Meetup Page Berlin auf Meetup

    Wie auch die IT-Branche im Allgemeinen sind auch ein Großteil der Open-Source Projekte heutzutage leider immer noch männlich und weiß dominiert. Dass Vielfalt und Inklusion aber wesentlich sind, um innovative und repräsentative Technologien zu entwickeln steht außer Frage. Eine aktive Förderung seitens der Projekte und Gemeinschaften ist nötig, um eine Vielfalt an Perspektiven und Ideen in Open-Source-Projekten zu schaffen. Neben vielen anderen Open-Source-Projekten, wie zum Beispiel Mozilla, hat es sich auch WordPress zum Ziel gesetzt, eine offene Umgebung zu schaffen, in der Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt und mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Erfahrungen zusammenkommen können, um gemeinsam an einem gemeinsamen Ziel zu arbeiten.

    Durch die Schaffung klar dokumentierter Prozesse und die Bereitstellung von Schulungsressourcen und Supportmöglichkeiten erleichtert WordPress den Einstieg für Neueinsteiger*innen und fördert die Teilnahme von Menschen aus unterschiedlichsten Hintergründen. Textbasierte Meetings und barrierefreie Kommunikationsmittel gewährleisten, dass alle Mitglieder der Gemeinschaft die Möglichkeit haben, sich zu engagieren und ihre Ideen einzubringen, unabhängig von geografischer Lage, Sprachkenntnissen oder technischen Fähigkeiten. Dadurch, dass alle Meetings text-basiert sind, entsteht eine weitestgehend vorurteilsfreie Kommunikation, da die Einordnung von Beiträgen aufgrund bestehender Vorurteile anderer Mitglieder gegenüber Personen aufgrund ihres Aussehens oder ihrer Stimme so direkt verhindert wird. Lediglich frei wählbare Avatare und Nicknames identifizieren die Kommunikationsteilnehmer*innen.

    Das Polyglots-Team von WordPress ist maßgeblich an der Übersetzung der Plattform in viele Sprachen beteiligt, wodurch WordPress für Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen zugänglicher wird. Diese Initiative trägt dazu bei, die globale Reichweite von WordPress zu erweitern und eine vielfältigere Community zu schaffen, in der Menschen aus aller Welt vertreten sind.

    Die Förderung von Vielfalt und Inklusion in der Community ist nicht nur bei Veranstaltungen sondern auch in Führungspositionen und Programmen von großer Bedeutung. Erfolgreiche Beispiele sind z.B. das Diverse Speaker Training und die All-Women WordPress Release Squad. Für jedes neue Major Release von WordPress wird mit dem Release Squad ein Leitungs-Team aus knapp 50 Personen für die unterschiedlichen Steuerungsbereiche (bspw. Koordination, Core Coding, Design, Accessibility, Marketing, Dokumentation etc.) des Releases gebildet. Bei der Veröffentlichung von WordPress Version 5.6 am 8. Dezember 2020 bestand das komplette Release Squad aus Frauen. Mit diesem All-Women Release Squad soll zum einen die Sichtbarkeit von Frauen in der Community erhöht werden, zudem soll bewirkt werden, dass die Anzahl der Frauen sich auch in weiteren Projekten erhöht und Mitwirkende durch die Anwesenheit und Zusammenarbeit mit anderen Menschen, die sich als Frauen identifizieren, empowert werden.

    Auch bei Konnektiv sind wir bemüht, unser Team mit vielfältigen Perspektiven auszustatten und Inklusion zu leben. So versuchen wir ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis, sowohl im Consulting, sowie auch im Tech-Team zu erhalten, zudem arbeiten wir mit lokalen Partner*innen auf der ganzen Welt zusammen. Mehr über unsere Values findest du auf unserer Website.

    Die WordPress-Community zeigt eindrucksvoll, wie eine global organisierte Open-Source-Gemeinschaft Diversität fördert und durch weltweite Events und Konferenzen zusammenhält. WordPress bietet ein Modell unter zahlreichen in der Open-Source Community, das zeigt, wie Technologie zum Wohle aller eingesetzt werden kann, insbesondere in einer Zeit, in der digitale Souveränität und der freie Austausch von Wissen immer wichtiger werden.

    Bild links: CC0 licensed photo by Shiva Shanker Bhatta from the WordPress Photo Directory
    Bild rechts: CC0 licensed photo by Topher from the WordPress Photo Directory

    PS: In diesem Beitrag haben wir fast ausschließlich Bilder aus dem WordPress-Fotoverzeichnis verwendet. Die WordPress-Community bietet über all die beschriebenen Features hinaus auch eine kostenlose Bilddatenbank. In diesem Fotoverzeichnis finden sich hochwertige Fotos, die von der Community eingereicht und unter der CC0-Lizenz veröffentlicht wurden. Mit einer Auswahl von über 15.000 Bildern können Website-Inhalte, Social-Media-Beiträge und mehr verbessert werden. Alle Fotos sind unter CC0 lizenziert, was bedeutet, dass sie frei verwendet werden können, ohne eine Quellenangabe machen zu müssen. Quellenangaben sind lediglich ein Best Practise, um Urheber:innen zu danken, sind jedoch nicht notwendig. Auch hier freut sich die WordPress-Community über Beteiligung: Mitwirkende können einfach Fotos über wordpress/photos einreichen.

  • Interview mit Miriam Seyffarth

    Portrait von Miriam Seyffarth

    Interview mit Miriam Seyffarth

    In dieser Ausgabe ist Miriam Seyffarth, Leiterin für Politische Kommunikation bei der Open Source Business Alliance, bei uns zum Thema Netzwerke zu Gast! Mit einem Hintergrund in politischer und kultureller Arbeit setzt sie sich bei der OSB Alliance leidenschaftlich für ihr Herzensthema Open Source ein. In unserem Gespräch beleuchtet Miriam die entscheidende Rolle der Community-Pflege für offene Technologien, wir sprechen über die Arbeit der OSB Alliance und welche Strukturen noch ausgebaut werden können, um das Innovationspotenzial der Open Source Communities zu entfalten. Willkommen zu einem spannenden Einblick in die Zukunft der digitalen Souveränität!

    Was macht die OSB Alliance?

    Die Open Source Business Alliance – Bundesverband für digitale Souveränität e.V. ist der Industrieverband der deutschen Open-Source-Wirtschaft. Wir vertreten über 200 Mitgliedsunternehmen, die in Deutschland rund 95.000 Mitarbeiter*innen beschäftigen und einen Jahresumsatz von über 126,8 Mrd. Euro erwirtschaften. Zusammen mit unseren wissenschaftlichen Einrichtungen und Anwender*innenorganisationen setzen wir uns dafür ein, die zentrale Bedeutung von Open Source Software und offenen Standards für eine digital souveräne Gesellschaft nachhaltig im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. Dieser digitale Wandel soll Unternehmen, Regierungen, Behörden und Bürgern gleichermaßen zugute kommen. Wir treten dafür ein, Open Source als Standard in der öffentlichen Beschaffung und bei der Forschungs- und Wirtschaftsförderung zu etablieren. Um unsere Ziele zu verwirklichen, stehen wir Unternehmen, Privatpersonen, Medien und der Politik als Expert*innen und Ansprechpartner*innen zur Verfügung.

    Warum ist Netzwerkarbeit besonders im Open Source Kontext wichtig?

    Gerade in der Open-Source-Branche sind viele kleine und mittelgroße Unternehmen aktiv, die miteinander in unterschiedlichsten Konstellationen kooperieren, um gemeinsam Software zu entwickeln oder Dienstleistungen anzubieten. Einige Unternehmen entwickeln Software, wieder andere Unternehmen bieten z.B. Schulungen oder Support für eben diese Software an. Viele Firmen verwenden Software oder Komponenten von anderen Mitgliedern des Open-Source-Ökosystems und bauen diese in ihre eigenen Lösungen ein. Gerade bei größeren Aufträgen schließen sich auch immer wieder Open-Source-Unternehmen zu Konsortien zusammen, um diese Aufträge übernehmen zu können. Die Netzwerkarbeit ist also schon allein aus wirtschaftlicher Sicht total wichtig.

    Insgesamt gibt es im Open-Source-Kontext sehr komplexe Geflechte von Unternehmen, öffentlicher Verwaltung, ehrenamtlichen Communities und Zivilgesellschaft und Wissenschaft, die miteinander agieren und Open Source gemeinsam voranbringen. Dieses vielfältige Ökosystem muss zum einen gepflegt und zum anderen politisch repräsentiert werden. Das übernehmen wir zusammen mit Partnerorganisationen wie z.B. der Free Software Foundation Europe und anderen. Wenn wir uns untereinander vernetzen, können wir unsere gemeinsamen Ziele besser verfolgen und z.B. gegen immer noch verbreitete  Vorurteile und Missverständnisse in Bezug auf Open Source ankämpfen. Gemeinsam können wir deutlich machen, wie groß das Potential von Open Source Software für Gemeinwohl, digitale Souveränität und Gesamtwirtschaft ist.

    techy OPEN-Schild in Leuchtbuchstaben

    Foto von Ben Taylor auf Pexels

    Arbeit an Open-Source-Projekten ist per se auch Netzwerkarbeit. Inwiefern sind Open Source Communities auch relevant für die Arbeit der OSB Alliance? (Gibt es hier andere Beziehungen zwischen Akteuren als in anderen Tech Bereichen?) 

    Viele der Mitgliedsunternehmen der OSB Alliance sind von Personen gegründet worden, die seit langen Jahren in Open-Source-Communities aktiv sind. Das hat diese Personen und damit auch ihre unternehmerische Tätigkeit sehr geprägt, die meisten Open-Source-Unternehmen sind z.B. sehr wertegetrieben. Die Communities spielen für die Open-Source-Unternehmen auch heute noch eine zentrale Rolle, denn viele Open-Source-Lösungen leben von der aktiven Community, die Bugs meldet, Feature Requests weiter gibt und generell die Software mit ihrem Interesse und ihrem Engagement am Leben erhält. Oftmals wechseln Community-Mitglieder irgendwann von der ehrenamtlichen Seite in das entsprechende Unternehmen und machen so quasi ihr Hobby zum Beruf. Die Unternehmen nehmen die Communityarbeit daher auch sehr ernst, viele Firmen haben z.B. eigene Communitymanager*innen, die sich intensiv um den Austausch mit der Community kümmern. Davon profitiert das jeweilige Unternehmen und damit auch wir als Verband.

    Ein häufiges Missverständnis ist, dass Communities automatisch entstehen würden, sobald man eine Open-Source-Lösung hat. Unsere Mitglieder wissen, dass das nicht so ist und dass man in den Aufbau und die Pflege einer Community Zeit und Energie stecken muss. Als Verband klären wir regelmäßig darüber auf, welche zentrale Rolle Communities in der Zusammenarbeit mit kommerziellen Open-Source-Unternehmen spielen.

    Diese Verflechtungen von Open-Source-Unternehmen und dazugehörigen Communities zeigen auch, dass das Besondere an Open Source ist, dass hier nicht nur Mehrwerte für die Wirtschaft entstehen, sondern auch für das Gemeinwohl und die Zivilgesellschaft. Am Ende des Tages sind wir daher ein Wirtschaftsverband, der zum einen die wirtschaftlichen Interessen unserer Mitglieder vertritt, dem aber Gemeinwohlaspekte wie z.B. „Public Money, Public Code“ ebenfalls sehr wichtig sind. Das geht auch aus unseren Leitlinien so hervor. Das unterscheidet uns wahrscheinlich von den meisten anderen Wirtschaftsverbänden. 

    Abstrakte Sprechblasen in verschiedenen Farben

    Foto von DeepMind auf Pexels

    Wie fördert die OSB Alliance den Aufbau von Netzwerken (zwischen Mitgliedern und nach extern)?

    Innerhalb des Verbandes haben wir zahlreiche  Austauschformate zum netzwerken: Die Mitglieder organisieren ihre gemeinsame inhaltliche Themenarbeit in Working Groups und Task Forces mit regelmäßigen Videocalls, über unsere interne Diskussionsplattform humhub und über Veranstaltungen vor Ort wie z.B. den Sovereign Cloud Stack Summit am 14. Mai in Berlin oder unseren jährlichen Netzwerktag im November in Berlin. Diese Events sind immer eine gute Gelegenheit, um sich sowohl unter den Verbandsmitgliedern zu vernetzen als auch mit dem „erweiterten Freundeskreis“ der OSB Alliance. Bei unserem regelmäßigen Format „Members & Products“ steht die Vernetzung der Mitglieder untereinander ganz besonders im Fokus.

    Als Verband haben wir außerdem eine ganze Reihe von Kooperationen mit anderen Organisationen, die ähnliche Ziele verfolgen, wie z.B. die Free Software Foundation Europe oder die Open Logistics Foundation. Je nach Thema gibt es immer mal wieder einzelne Kooperationen mit Organisationen wie z.B. dem Weizenbaum-Institut, Wikimedia Deutschland oder dem Bitkom. 

    Und wir sind als Verband auch selbst Mitglied in anderen Organisationen wie z.B. unseren europäischen Dachverband APELL, in dem die europäischen Open-Source-Business-Verbände organisiert und untereinander vernetzt sind. Einmal im Jahr findet eine große Konferenz der APELL-Mitglieder statt, bei der sich die Mitglieder aus ganz Europa vernetzen. Dieses Jahr ist dieses Netzwerkevent im Juni in Berlin.

    Inwiefern vernetzt sich die OSB Alliance international? Mit wem?

    Neben der bereits angesprochenen Vernetzung in unserem europäischen Dachverband APELL sind wir auch in regelmäßigem Austausch mit dem OpenForum Europe. Mit den hier vernetzen Organisationen, Stiftungen, und Unternehmen haben wir beispielsweise im vergangenen Jahr intensiv den Cyber Resilience Act begleitet und immer wieder kommentiert.

    Außerdem sind bei uns in der OSB Alliance nicht nur deutsche Unternehmen Mitglied, sondern z.B. auch Unternehmen aus Frankreich, der Schweiz oder Österreich, die auch unternehmerisch in Deutschland tätig sind. Daher gibt es immer wieder auch einen Austausch mit unseren Schwesterverbänden in den Nachbarstaaten, z.B. mit CNLL in Frankreich. Und wir besuchen auch regelmäßig Veranstaltungen und Konferenzen in Europa und der ganzen Welt, beispielhaft seien hier mal die „Open Source Experience“ in Paris und der „FOSSASIA Summit“ genannt. Dort vernetzen wir uns international mit anderen Open-Source-Unternehmen und Communities. Eines unserer Mitglieder war auch kürzlich bei einer Delegationsreise des Bundesministerium für Digitales und Verkehr nach Kenia dabei, um sich vor Ort einen Überblick darüber zu verschaffen, welche Rolle Open Source bei lokalen Communities und der öffentlichen Verwaltung spielt.

    Was fehlt noch an Strukturen für die Community um ihr volles Innovationspotenzial entfalten zu können und die nächste Stufe was Anwendung und Akzeptanz angeht zu nehmen?

    Zum einen ist hier der Staat am Zug: Open Source wird zwar in diversen Beschlüssen, dem Koalitionsvertrag, der Digitalstrategie, der Deutschen Verwaltungscloud-Strategie etc. immer wieder positiv hervorgehoben und an vielen Stellen auch schon von der öffentlichen Verwaltung eingesetzt. Aber wenn es darum geht, auch gezielt in das Open-Source-Ökosystem zu investieren, nachhaltige offene Infrastrukturen aufzubauen und Kompetenzen aufzubauen, dann rutscht Open Source bei der Politik schnell wieder nach unten auf der Prioritätenliste und dann wird doch lieber wieder für viele Milliarden Euro proprietäre Software eingekauft – obwohl die Vorzüge von Open Source Software den Beteiligten durchaus bekannt sind. Das muss sich dringend ändern, wir brauchen nicht nur Lippenbekenntnisse, sondern auch mehr konkretes Commitment. Dafür setzen wir uns als Verband politisch ein.

    Wir kümmern uns zum anderen aber auch darum, bestehende Vorurteile und Missverständnisse abzubauen und über die Vorzüge von Open Source für Wirtschaft und Gemeinwohl zu informieren.

    In vielen Fällen ist es auch so, dass Verwaltungen oder Unternehmen auf uns zukommen und sagen „Wir wollen gerne Open Source einsetzen, wissen aber noch nicht so richtig, wo wir anfangen sollen“. Hier versuchen wir Hilfestellungen zu geben und zu unterstützen.

    Wir haben als Verband in den letzten Jahren viel Sichtbarkeit gewonnen und werden daher inzwischen oft für Stellungnahmen oder Projekte angefragt – immer wieder kommen wir dabei an die Grenzen unserer Ressourcen, dabei würden wir gerne noch viel mehr Initiativen und Projektideen auf die Straße bringen. Deswegen freuen wir uns immer über neue Mitglieder, die Lust haben, sich gemeinsam mit uns in einem vielfältigen politischen Themenspektrum für Open Source zu engagieren.

  • Digitale Kultur und internationale Projekte

    Bildschirmfoto des Spiels Animal Crossing von Joshua Wong via X

    Digitale Kultur und internationale Projekte

    In unserem Kulturimpuls präsentieren wir spannende Projekte, Künstler*innen, Spiele und vieles mehr rund um digitale Kultur und gesellschaftlichen Wandel. Dieses Mal geht es um Netzkunst, starke Netzwerke, Internetkulturen und Gaming und die Bedeutung ihrer Verflechtung.

    The Medium is the Message“: Post-Internet-Kunst & Marisa Olson

    Die These „The medium is the message” stammt von dem Medientheoretiker Marshall McLuhan und ist für die Interpretation der Netzkunst bedeutend. Der Satz spielt darauf an, dass die Form und der Inhalt von Netzkunst immer von den technischen Gegebenheiten des Mediums beeinflusst sind und damit die Wirklichkeit verändern können. Die Netzkunst vereint unterschiedliche Werke, die in digitalen, aber auch in analogen Netzen geschaffen werden. Diese Kunstform wird also erst durch die Nutzung dieses Netzes möglich. 

    Im Jahr 2014 wurde in der internationalen Kunstszene der Begriff „Post-Internet-Art“ prominent. Bezeichnend für diese Bewegung ist unter anderem die Umwandlung von virtuellen Inhalten in handfestes Material. So werden beispielsweise vermehrt Online-Objekte mit dem 3D-Drucker offline wieder greifbar gemacht. Doch was hat es mit dieser Rückbesinnung auf das Materielle auf sich? 

    Der Begriff „Post-Internet“ wurde maßgeblich von Marisa Olson im Jahr 2008 geprägt. Das „Post“ in Post-Internet-Art meint die Kunst, die aus dem Internet entspringt und meist von Digital Natives geschaffen wird. Kunst also, die bereits unser Alltag ist und nicht schon „post”, also vorüber ist. Kurator und Architekturhistoriker Carson Chan beschreibt die Post-Internet-Art als einen „Internet State of Mind“, also als Kunst, die nicht unbedingt mit oder für das Internet geschaffen wird, sondern vielmehr als ein vom Internet beeinflusstes Denken. In ihrer Performance WellWellWell beschäftigt sich Olson beispielsweise mit dem Leben in der „Post-Internet-Ära“. Mit Hilfe von internetbasierten Videos und Live-Motivationstrainings stellt Olson einen Guru-ähnlichen Kult nach. Die Videos zeigen, wie digitale Technologien Stress auslösen, aber auch abbauen können. Laut Brad Troemel unterscheidet sich die Post-Internet-Art von der Netzkunst der 1990er Jahre in dem Sinne, dass sie das Internet nicht mehr als Tor zur Zukunft, sondern als Archiv und Treiber seiner eigenen Obsoleszenz begreift. 

    Der Transfer von digitaler Kunst in physische Räume und zurück, etwa durch Fotografien materieller Kunstwerke, die wieder ins Netz gestellt werden, zeigt, wie die Grenzen zwischen digitaler und physischer Welt verschmelzen und wie genau dies einen Teil unseres Alltags widerspiegelt. 

    Website mit Pop-Art-Illustrationen und Video-Tutorials von Marinas Olson

    Bildschirmfoto von Marinas Olsons wellwellwell.guru (2018)

    Ushahidi: Netzwerke im Katastrophenschutz

    Im Jahr 2008 ins Leben gerufen, entstand Ushahidi mit dem Ziel, Gewaltverbrechen während der Unruhen in Kenia zu dokumentieren und geografisch zu verorten. Die Open-Source-Plattform, deren Name auf Swahili “Zeugenaussage” bedeutet, ermöglicht es Nutzer*innen von lokalen Gemeinschaften bis hin zu internationalen Organisationen, Daten in Form von Texten, Bildern und Videos hochzuladen. Diese Informationen werden dann auf einer interaktiven Karte dargestellt und können mithilfe verschiedener Tools analysiert werden, um räumliche Zusammenhänge und die Verbreitung von Ereignissen zu verstehen.

    Ushahidi nutzt Crowdsourcing effektiv, um Krisen zu dokumentieren und darauf zu reagieren, indem es verschiedene Akteure einbindet, Informationsflüsse intensiviert und Ressourcen koordiniert. Aufgrund ihrer Anpassungsfähigkeit kann die Plattform in den unterschiedlichsten Kontexten eingesetzt werden, sei es bei Naturkatastrophen wie dem Erdbeben in Haiti 2010, Gesundheitskrisen wie der Corona-Pandemie oder politischen Unruhen wie denen in Kenia oder dem syrischen Bürgerkrieg.

    Durch die Vielfalt der Informationsquellen und ihre Zugänglichkeit für jede*n ermöglicht Ushahidi ein transparenteres Bild von undurchsichtigen Situationen und gibt marginalisierten Personen eine Stimme. Es ist ein lebendiges Beispiel dafür, wie Technologie und Gemeinschaftsengagement Hand in Hand gehen können, um positive Veränderungen in der Welt zu bewirken.

    Ushahidi demonstriert die Kraft von Gemeinschaften und Netzwerken im Krisenmanagement. In einer zunehmend vernetzten Welt zeigt es, wie gemeinsame Anstrengungen und die effektive Nutzung von Daten dazu beitragen können, humanitäre Notfälle zu bewältigen und auf Krisen zu reagieren.

    Geografische Karte mit eingezeichneten roten Punkte, die Erdbeben in Haiti 2010 darstellen

    Bildschirmfoto der Karte des Haiti Project auf ushahidi.com


    Information wo sie gebraucht wird: NetFreedom Pioneers

    In einer Zeit, in der der der Digital Divide zunehmend tiefer wird und gerade in Krisengebieten viele Menschen unter mangelnder Bildung, Zensur oder fehlendem Zugang zum Internet leiden, setzt sich NetFreedom Pioneers entschieden dagegen ein. Ihre Vision ist es, selbst den entlegensten Gemeinschaften und Minderheiten den Zugang zu Informationen, Bildungsmaterialien und Online-Netzwerken zu ermöglichen.

    Ein Instrument, mit dem NetFreedomPioneers diese digitale Kluft überwinden möchte, ist die Knapsack Content Station. Diese Plattform dient als Offline-Internetzugang und soll auch abgelegene und infrastrukturell vernachlässigte Gebiete mit wichtigen Informationen versorgen.

    Durch den Einsatz kostengünstiger, handelsüblicher Komponenten und weit verbreiteter Free-to-Air-Satellitenschüsseln ermöglicht die Knapsack Content Station den Zugang zu hochwertigen Bildungsmaterialien auch in traditionell unterversorgten Gemeinschaften. Während ein immer größerer Teil der Welt von den Vorteilen des Internetzugangs für die Bildung profitiert, wird die Kluft zwischen denen, die Zugang zu Informationen haben, und denen, die keinen Zugang haben, immer größer. Die Knapsack Content Station will diese Kluft überbrücken.

    In Zeiten von Krisen und politischer Instabilität ist der Zugang zu aktuellen Informationen und die Möglichkeit zur Vernetzung lebenswichtig. NetFreedom Pioneers widmet sich mit ihrer innovativen Arbeit der dringenden Aufgabe, digitale Barrieren zu überwinden und zeigt damit einmal mehr die entscheidende Bedeutung von Netzwerken auf.

    NASA Ansicht einer vernetzten, beleuchteten Stadt

    Foto von NASA auf Unsplash


    Animal Crossing, Counterstrike, Minecraft: Wenn Videospiele zu aktivistischen Plattformen werden

    Aktivismus und Protest im digitalen Raum sind längst keine Neuheit mehr. Doch nicht nur in sozialen Netzwerken mobilisieren sich Communities, um gemeinsam gegen Ungerechtigkeiten vorzugehen. Von virtuellen Graffiti-Aktionen bis hin zu In-Game-Demonstrationen nutzen Spielende auf der ganzen Welt Videospiele, um politische Botschaften zu verbreiten und auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen.

    Ein frühes Beispiel für diese Form des digitalen Aktivismus sind die Velvet Strikes aus dem Jahr 2002. In Counter-Strike ermutigte eine von Aktivist*innen entwickelte Mod Spielende dazu, Anti-Kriegs-Graffiti an die Wände der Spielwelt zu malen. Diese Aktionen sollten die Spielenden dazu anregen, über die realen Auswirkungen von Krieg und Gewalt nachzudenken und eine öffentliche Diskussion darüber anzustoßen.

    Auch zur Umgehung von Zensur haben sich Videospiele als bewährt. Eine der wohl bekanntesten politischen Aktionen innerhalb eines Computerspiels ist die Uncensored Library. Die virtuelle Bibliothek, die 2020 anlässlich des Welttags gegen Internetzensur in Minecraft erstellt wurde, beherbergt Informationen und Berichte, die in autoritären Regimen zensiert sind. Durch die Nutzung von Gaming als Plattform konnten die Ersteller*innen der Uncensored Library einen sicheren und zugänglichen Raum für Meinungsfreiheit schaffen und gleichzeitig auf die Bedeutung der Pressefreiheit hinweisen.

    Die jüngsten Proteste in Hongkong haben gezeigt, wie Gaming als Form des politischen Widerstands genutzt werden kann. In dem beliebten Spiel “Animal Crossing: New Horizons” haben Spielerinnen und Spieler ihre Inseln in Orte des Protests verwandelt., indem sie Slogans, Plakate und Demonstrationsorte in das Spiel integrieren. Diese virtuellen Proteste dienten nicht nur dazu, auf die Situation in Hongkong aufmerksam zu machen, sondern auch als Ausdruck des Widerstands gegen autoritäre Regierungen und Unterdrückung. Das darauffolgende Verkaufsverbot des Spiels in chinesischen Online-Shops zeigt die weitreichenden Folgen eines solchen In-Game-Protestes.

    Die zunehmende Nutzung von Gaming als Protestform verdeutlicht die vielfältigen Möglichkeiten, die digitale Medien bieten, um politische Botschaften zu verbreiten und gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen. Von virtuellen Graffiti-Aktionen bis hin zu In-Game-Demonstrationen bieten Videospiele eine einzigartige Plattform für politischen Aktivismus, die von Menschen auf der ganzen Welt genutzt wird, um für ihre Rechte einzutreten und auf Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen.

    Screenshot aus dem Spiel Animal Crossing: New Horizon mit Protestaktion: Free Hong Kong Revolution Now

    Bildschirmfoto des Spiels Animal Crossing von Joshua Wong via X

  • Interview Eden Kupermintz

    Portrait von Eden Kupermintz – Credits Twitter / Website.

    Interview mit Eden Kupermintz

    Wir freuen uns im Gastimpuls dieser Ausgabe Eden Kupermintz zu begrüßen. Mit einem Hintergrund in Geschichte, Philosophie und Webentwicklung, sowie seiner Leidenschaft für Science Fiction, Musik und Kultur, hat Eden nicht nur umfangreiche schriftstellerische Erfahrung, sondern auch Einblicke in verschiedene Aspekte der Zukunftsforschung. In diesem Interview werden wir mit Eden über seinen Artikel “Designing Tomorrows” sprechen und dabei nicht nur auf die spekulative Praxis der Science Fiction eingehen, sondern auch auf seine persönlichen Gedanken zu den kreativen Methoden der Zukunftsvorhersage. Willkommen!

    Als jemand, der in verschiedenen Bereichen in utopische und futuristische Kontexte involviert ist, wie nehmen Sie die Rolle von Utopie und Dystopie im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs über die Zukunft wahr?

    Ich würde tatsächlich sagen, dass die derzeitige Rolle von sowohl Utopien als auch Dystopien in unserem aktuellen Diskurs keine gute ist. Beide fungieren als eine Art Schlafmittel, das das Bedürfnis stillt, über die Zukunft zu sprechen und nachzudenken, ohne konkrete Wege in die Zukunft oder sinnvolle materielle Kritiken an unserer Gegenwart anzubieten. Das muss nicht der Fall sein. Wenn Utopien sich beispielsweise auf die komplexen Prozesse konzentrieren, die zu ihrer Entstehung führen können, anstatt das imaginäre Endergebnis zu verherrlichen, können sie ein starker Katalysator für unmittelbares Handeln sein. Auch Dystopien können als “Negativindikatoren” dienen, indem sie ein Licht auf die gegenwärtigen Prozesse und ihre Endresultate werfen, anstatt sich auf den Nervenkitzel zu stürzen, den wir durch die Konzentration auf ihre zum Scheitern verurteilte Zukunft erhalten.

    Unterm Strich müssen Utopien und Dystopien prozessorientiert sein, wenn sie im aktuellen Diskurs nützlich sein sollen. Anstatt zu fragen “Wie sähe es aus, wenn wir hier landen würden?” sollten sie fragen “Nehmen wir an, wir würden hier ankommen. Wie sah der Weg dorthin aus?”

    Die Idee des gemeinsamen Erschaffens von Zukünften ist faszinierend. Wie können Gemeinschaften aktiv an der Vorstellung ihrer Zukünfte teilnehmen, und welche Beispiele haben Sie erlebt, wo dieser kooperative Ansatz erfolgreich war?

    Am Ende des Tages ist die Zukunft ein unbekanntes Territorium, in das wir alle unsere Ängste, Hoffnungen, Annahmen und Vorurteile gießen. Die Zukunft ist kein Ort oder eine Zeit – sie ist ein Werk, sie entsteht. Wir haben diese Vorstellung (übernommen aus der Romantik des 19. Jahrhunderts, zufälligerweise viel davon Germanisch) dass ein Werk in Isolation, durch das “Genie im Turm”, geschaffen wird. Aber die Wahrheit ist, dass alle großen Werke in Zusammenarbeit geschaffen werden, zwischen Wissenschaftler*innen und Assistent*innen, zwischen Musiker*innen und ihrer familiären Geschichte, den Liedern, die sie auf der Straße hören, und dem Rest ihrer Kultur. Zwischen einer Gruppe von Menschen, die sich etwas Neues vorstellen und ihm die Kraft und den Kontext geben, aus dem es entsteht.

    Das beste alltägliche Beispiel dafür ist jeder einzelne Gemeinschaftsgarten, den Sie je gesehen haben. Vor dem Gemeinschaftsgarten steht ein Stück Land. Die Menschen kommen zusammen, um sich gemeinsam vorzustellen, wie diese Fläche aussehen könnte, was sie enthalten könnte und welchen Nutzen sie haben könnte. Sie stellen sich gemeinsam eine Zukunft vor und machen sich dann daran, sie zu verwirklichen. Manchmal werden diese Gärten von Hierarchien aufgebaut, manchmal von Netzwerken. Aber das Entscheidende ist, dass die Menschen einen Weg finden, sich eine Zukunft vorzustellen, in der es einen Garten gibt, und dann machen sie ihn wahr. Natürlich sind Dinge wie Kommunismus, Weltraumforschung, ein Ende der Ungleichheit usw. viel größer und komplexer, aber sie nutzen denselben “Muskel”, nämlich unsere Fähigkeit, zusammenzukommen und gemeinsam etwas zu schaffen.

    Angesichts Ihrer Arbeit an der Pflege eines Online-Archivs wie anarchySF, wie sehen Sie die Rolle digitaler Plattformen bei der Demokratisierung spekulativer Praktiken und der Visionierung zukünftiger Entwicklungen?

    Gar nicht 🙂 Digitale Plattformen sind wichtig und haben eine Menge Macht und Potenzial, aber sie sind einfach nur ein Hilfsmittel, mehr Nährboden als alles andere. Die Netzwerke, die sie schaffen, diktieren den Schwung und die Geschwindigkeit einer Idee, ihre Energie, aber sie führen nicht von Natur aus zu demokratischeren oder gemeinschaftlicheren Ideen. Es liegt an uns, unsere Vorstellungen von der Gestaltung der Zukunft zu hinterfragen, neue und interessante Wege zu finden, um gemeinsam Geschichten darüber zu erzählen, was kommen könnte und was wir sehen wollen, und dann digitale Plattformen zu nutzen, um diese Ideen zu verbreiten und zu ermöglichen. anarchySF ist ein gutes Beispiel – es verbreitet “nur” bestehende Gedanken über verschiedene Zukünfte. Das Archiv selbst ist in keiner Weise revolutionär – es ist einfach ein Gefäß für andere revolutionäre Ideen.

    Schmetterlinge die auf einem blühenden Zweig sitzen, alles ist leicht blau getönt.

    Foto von Karina Vorozheeva auf Unsplash

    Sie betonen die Hoffnung, die in fantastischer, merkwürdiger Science-Fiction steckt, die bestehende Normen herausfordert. Welche Werke oder Projekte würden Sie als Beispiele für diese Art von Science-Fiction empfehlen?

    Meine Lieblingsfrage! Hier ist eine schnelle Liste:
    Elvia Wilk – Oval
    Becky Chambers – To Be Taught If Fortunate
    Jeff Vandermeer – Dead Astronauts und/oder The Strange Bird
    Alex Jennings – The Ballad of Perilous Graves (Fantasy)
    Brian Catling – The Vorrh Trilogy (nicht Sci-Fi, aber auch nichts anderes)
    David R. Bunch – Moderan
    M. John Harrison – Light
    Missouri Williams – The Doloriad
    Rivers Solomon – An Unkindness of Ghosts
    Bonus: Kameron Hurley – The Stars Are Legion.

    Wenn Sie tiefer in eines dieser Beispiele oder meine Gedanken zur revolutionären Science-Fiction eintauchen möchten, können Sie sich diese Episode ansehen, die ich mit dem ausgezeichneten Acid Horizon Podcast gemacht habe, oder meinen Essay über radikale Science-Fiction lesen (er ist lang!).

    Vielen Dank für das schöne Gespräch, Eden!

  • Digitale Kultur und internationale Projekte

    Foto: https://pinaryoldas.info/WORK/Designer-Babies-2013

    Digitale Kultur und internationale Projekte

    In unserem Kulturimpuls präsentieren wir spannende Projekte, Künstler:innen, Spiele u.v.m. rund um digitale Kultur und gesellschaftlichen Wandel. Dieses Mal u.a. mit Pinar Yoldas und einer digitalen Aktivismusbewegung!

    Pinar Yoldas – Dark Botany

    Pinar Yoldas, die bereits mit fünf Jahren ihre Kunst in der Türkei ausstellte, entdeckt heute als Designerin, Künstlerin und Forscherin verschiedene Kunstformen, um sich Themen wie Posthumanismus, Neurowissenschaften und feministischer Technowissenschaft zu widmen. Mit Projekten wie „An Ecosystem of Excess“, welches ein posthumanes Ökosystem aus imaginierten Organismen darstellt, oder mit „The Kitty AI: Artificial Intelligence for Governance“, einer Regierung, die von einer Katzen AI geführt wird, erforscht Yoldas spielerisch die Grenzen zwischen Wissenschaft, Technologie und Kunst. In ihrer Doktorarbeit „Spekulative Biologie: Neue Wege der Kunst im Zeitalter des Anthropozäns“ erkundete Yoldas außerdem Themen Ökozid, Unwahrnehmbarkeit und das Anthropozän. Yoldas verbindet spannende interdisziplinäre Elemente auf unerwartete Weisen und schafft damit innovative Kunstwerke, die zum Nachdenken anregen. Hier könnt ihr ihren re:publica Vortrag vom letzten Jahr zum Thema „Dark Botany:Speculative Biology for Climate Crisis“ anschauen.

    Pinar Yoldas: An Ecosystem of Excess, Ausstellung im Projektraum der Schering Stiftung, Detail “Stomaximus”, 2013.

    Be Water“ – The Future of Protest 

    Die Proteste in Hong Kong von 2019 bis 2020 zeichneten sich besonders durch innovative und künstlerische Formen von digitalem Aktivismus aus. Unter Einbezug von Musik und verschiedensten Technologien, konnten Aktivist*innen anonym und großflächig auf die Konsequenzen des geplanten Auslieferungsgesetzes aufmerksam machen, welches, unter anderem, die Auslieferung von Gefangenen an die Volksrepublik China beinhaltet. Der digitale Aktivismus wurde genutzt, um auf alternativen friedlichen Wegen Meinungen zu äußern ohne aktiv an den Protesten teilzunehmen. Auf diese Weise konnten Aktivist*innen durch die Nutzung von Pseudonymen ihre Identität schützen und zugleich große Menschenmassen erreichen. Die Protest-Kunst wurde inspiriert von Popkultur und den bildenen Künsten, dabei diente eine humorvolle Art und Weise dazu, die Spannung aus der Lage zu nehmen. Die Protest-Kunst bediente sich oft japanischer Anime und anti-autoritären Themen. In 2020, wurden die Hongkonger Aktivist*innen für ihren innovativen und kreativen digitalen Protest mit der Goldenen Nicas der Ars Electronia ausgezeichnet. Eric Siu und Joel Kwong reichten die Bewegung unter dem Titel „Be Water“ bei dem Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft ein. Die Bezeichung „Be Water“ spielt auf eine Aussage von Bruce Lee und meint die Fähigkeit sich Situationen entsprechend anzupassen und transformationsfähig zu sein. 

    Bruce Lee: “Be formless, shapeless, like water. Now you put water into a cup, it becomes the cup. You put water into a bottle, it becomes the bottle. You put it in a teapot, it becomes the teapot. Now water can flow or it can crash. Be water, my friend.”

    Diese Philosophie wurde von den Hongkonger Aktivist*innen adaptiert, indem sie durch die extrem dezentralisierte Bewegung stets ungreifbar für die Staatsgewalt blieben. 

    Foto von Chris Yang auf Unsplash

    Afrofuturismus 2.0: Das Black Speculative Arts Movement 

    Das Black Speculative Arts Movement ist eine globale Community der Afrikanischen Diaspora, die mithilfe von neuen spekulativen Methoden Wege sucht eine inklusivere zukünftige Gesellschaft zu schaffen. Die Bewegung vereint Künstler*innen und Interlektuelle aus verschiedensten Bereichen, unter anderem, dem Afrofuturismus, der Astro Blackness, oder den Black Science Fiction. Sie alle vereint sowohl die Auseinandersetzung mit dem Spekulativen und Design als auch mit Technologie und Ethik. Quentin VerCetty Lindsay ist Mitbegründer und Direktor des Black Speculative Arts Movements. In seiner Arbeit verbindet er die zweite Welle des Afrofuturismus mit neuen, inklusiven und intersektionalen Perspektiven auf öffentlichen Raum. Sein Projekt „Missing Black Technofossils Here“ ist ein futuristisches Werkzeug, um darauf aufmerksam zu machen, dass es zu wenige Denkmäler Schwarzer Körper in Teilen Kanadas gibt. VerCetty entwirft für das Projekt imaginäre Denkmäler für historische und gegenwärtige lokale Schwarze Persönlichkeiten, die an futuristischen öffentlichen Orten ausgestellt werden. Der Afrofuturismus 2.0 zeichnet sich insbesondere dadurch aus Gegengeschichten zur eurozentristischen Erzählung zu entwerfen und Wissen zu ergänzen. Damit rückt er Schwarze Leben und ihre Erfahrungen in den Vordergrund, um Schwarze Zukünfte zu imaginieren. 

    Joshua Glover Memorial: July 30, 2021. Image of monument sculpture entitled “Stepping Forward Into History” photo by Jose San Juan


    H.O.R.I.Z.O.N.

    Habitat One: Regenerative Interactive Zone of Nurture 

    H.O.R.I.Z.O.N. oder „Habitat One: Regenerative Zone of Nurture“ ist ein multi-player Computerspiel von dem Kunstkollektiv Institute of Queer Ecology und wurde für die Guggenheim Ausstellung 2020 namens „Countryside, The Future“ entwickelt. Das Spiel wurde zu einem Zeitpunkt kreiert als es wegen des Covid-19 Virus nicht möglich war in Ausstellungen zu gehen. Das zum Download bereitstehende H.O.R.I.Z.O.N. bot daher als partizipatives Kunstwerk innovative Möglichkeiten, an Künstler*innen- Vorträgen und Workshops teilzunehmen. Besucher*innen konnten außerdem Teil der interaktiven ‚digitalen Kommune‘ werden und so ihre Umwelt entdecken. Weltweit imaginieren Künstler*innen zukünftige Realitäten ohne Diskriminierung und erforschen gleichzeitig welche Rolle Technologien hierbei spielen können. Im Gegensatz zu großen Tech-Giganten, die oftmals eine kapitalistische Agenda verfolgen, versuchen viele digitale Künstler*innen den Nutzen von digitalen Technologien für marginalisierte Gruppen und mehr Klimabewusstsein hervorzuheben.

  • Designing Tomorrow(s) – Science-Fiction als Werkzeug

    Foto von and machines auf Unsplash

    Designing Tomorrow(s) – Science-Fiction als Werkzeug

    Die Zukunft ist seltsam. Das liegt einerseits daran, dass sie noch nicht existiert, andererseits jedoch daran, dass sie irgendwann existieren wird und dazu noch ihre Wurzeln in der Gegenwart hat. Wir können sie uns vorstellen, darüber nachdenken, sie ist in vielerlei Hinsicht hier und doch ist sie von Natur aus nicht hier, immer um die nächste Ecke herum. Die Zukunft ist per Definition gleichzeitig präsent und abwesend. Das ist die Essenz von etwas Seltsamem, von etwas, über das wir nachdenken können, selbst wenn es unseren Gedanken widerspricht.

    Auch Science-Fiction ist seltsam. Sie ermöglicht es uns, Ideen zu entwerfen und hervorzubringen, die unmöglich erscheinen, Objekte zu schaffen, die nicht existieren, und sich in Fantasien zu verlieren, die vielleicht nie Realität werden. Weil sie die Zukunft aus der Perspektive der Gegenwart imaginiert und die Gegenwart durch das Prisma der Zukunft reflektiert, ist die Science-Fiction eine “seltsame Schleife”, die verzerrte Bilder, halbe Wünsche und unbequeme Wahrheiten hervorbringen kann. Gleichzeitig kann sie dazu beitragen, diese Zukunft oder Teile davon zu schaffen, indem sie die Gegenwart beeinflusst, aber seltsamerweise auf unvorhersehbare Weise.

    Um es greifbarer auszudrücken, stelle dir vor, du wärst Jules Verne und wärst ins 21. Jahrhundert versetzt worden und würdest einem U-Boot gegenüberstehen. Jemand hat scheinbar in deinen Geist gegriffen und ein Objekt deiner Vorstellungskraft extrahiert. Als Science-Fiction-Autor hat sich Verne Dinge vorgestellt, die nicht existierten, und obwohl er unsicher war, ob sie real werden würden, trug er mit seinen Ideen zu ihrer Verwirklichung bei.

    Das ist eine wahnsinnige Macht, oder? Das Schöne daran ist, dass wir alle diese Macht besitzen. Diese Fähigkeit ist die Vorstellungskraft selbst, die sich auf die Zukunft richtet. Ohne Vorstellungskraft wären wir in einer komplexen Welt gelähmt. Sie ermöglicht es uns, zu hoffen, zu wünschen, uns Dinge anders vorzustellen, als sie sind. Wir nutzen die Vorstellungskraft häufig, um ein Bild von uns selbst in den kommenden Jahren zu bekommen. Daraus kann aber auch eine beunruhigende Seltsamkeit entstehen, die man begrüßen und erforschen kann. Das ist im Wesentlichen das, was die Science-Fiction zu tun versucht: diesen verdrehten Raum zu ergreifen und zu versuchen, ihn zu erkunden, sich daran zu gewöhnen.

    Der Blick bei Nacht auf eine Straße und umliegende Gebäude. Alles ist in bläulichen und Romanen Farben ausgeleuchtet, die Szene wirkt futuristisch.

    Foto von CHUTTERSNAP auf Unsplash

    Doch mit dieser Macht kommt Verantwortung. Die Hegemonie kultureller Normen steht der Seltsamkeit inhärent entgegen. Hegemonie ist geschickt und findet Wege, das Seltsame abzusichern und es zu zähmen, es in akzeptierten Gesten, vertrauten Ästhetiken und “normalen” Ansätzen neu zu verpacken, es in eine Art “seltsamen Chic” zu verwandeln. Beim Schaffen sicherer Wege, “seltsam” zu sein, hat die Hegemonie einen wichtigen Verbündeten: jeden von uns und unsere Abneigung gegen die Unannehmlichkeiten des Seltsamen. Unsere Instinkte neigen dazu, sich vor diesem Unbehagen zu scheuen. Sicher, wir mögen es uns diesem ab und zu einmal anzunähern, um den Nervenkitzel des “sicheren Unsicheren” zu spüren, den Rausch, die Regeln zu brechen, ohne sie wirklich umzuschreiben, aber dann ziehen wir uns in die Begrenzungen des Etablierten, des Verständlichen, des Normalen zurück. Denn das Normale ist offensichtlich und erscheint zeitlos, es ist ein besonders mächtiges Werkzeug für die Hegemonie. Indem es so erscheint, als wäre es die Voreinstellung, ist es der Schlüssel zur effizienten Kontrolle.

    Unsere Instinkte spielen also in die Hegemonie hinein und ermöglichen es ihr, das Unkonventionelle zu neutralisieren, ohne dass wir es realisieren. Diejenigen, die danach streben, neue Möglichkeiten zu imaginieren, können leicht in die Falle tappen. Das zeigt sich in Science-Fiction-Franchises wie Star Trek, wo trotz der Vorstellung einer Zukunft mit fortschrittlicher Technologie und Erforschung viele Annahmen und soziale Codes der Gegenwart repliziert werden. Zum Beispiel wird die militärische Aristokratie der Föderation selten hinterfragt, die koloniale Natur von Starfleets “Wissenschaftsmission” wird selten gründlich untersucht. Die Schöpfer importierten unbeabsichtigt ihre bestehenden Überzeugungen, indem sie vor dem wirklich Seltsamen zurückschreckten. Andere Beispiele sind Star Wars und sogar die Werke renommierter Science-Fiction-Autoren wie Heinlein und Asimov. Trotz des Wunsches, die Zukunft neu zu denken, verstärkt ihre Schreibweise oft bestehende Machtstrukturen und vermeidet das wirklich Radikale und Seltsame.

    Indem es sich als innovativ und kühn vermarktet, aber die meisten Machtstrukturen beibehält, besänftigt diese sichere, “suburbane” Art von Science-Fiction sowohl konservative als auch Mainstream-Leser, die nach einer seltsameren Zukunft suchen, ohne sich mit dem Unangenehmen auseinandersetzen zu müssen. Letztendlich ist es ein privilegierter Raum, in dem bestimmte Themen verwendet werden, um als kühn, liberal und progressiv zu erscheinen, während sie einen tieferen Konservatismus verbergen. Auf diese Weise perpetuiert die suburbane Science-Fiction die bestehende intellektuelle und kulturelle Ordnung und wird zu einem Vehikel für die Normalisierung des Status quo, der zeitlos und unantastbar erscheint. Sie stimmt mit dem Ziel der Hegemonie überein, die benötigte Macht für die Kontrolle zu verringern, indem sie sich als “fait accompli” präsentiert, als eine Tatsache, die immer wahr sein wird.

    Eine Reihe bunter LED lichter in rosa und rot.

    Foto von bady abbas auf Unsplash

    Dies wird am Beispiel der Behandlung der Raumfahrterkundung durch das Genre veranschaulicht, das sich auf praktische Fragen der Förderung und Produktion konzentriert, anstatt das System herauszufordern. Dies ist wichtig, denn in letzter Zeit hat die Raumfahrterkundung erneut die Vorstellungskraft der Öffentlichkeit ergriffen. Die Science-Fiction spielt eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung dieser Vision, und leider dominiert derzeit suburbane Science-Fiction. Die Erforschung des Weltraums, getrieben von der Zusammenarbeit zwischen dem privaten Sektor und dem Staat, wirft wichtige Fragen zur Ressourcengewinnung und -kontrolle sowohl im Weltraum als auch auf der Erde auf. Doch indem die Science-Fiction historische Machtkonsolidierungen spiegelt, wiederholt sie die Gegenwart als schlechte Ausrede für die Zukunft und riskiert so, die Handlungen kapitalistischer Persönlichkeiten wie Elon Musk und Jeff Bezos zu bagatellisieren. Es gibt klare Parallelen zu früheren kolonialen Bemühungen, und der Einfluss der Science-Fiction auf die Gestaltung dieser Erzählung verwischt die Grenzen zwischen Realität und Fiktion in einer Weise, die potenziell katastrophale Konsequenzen für unsere Zukunft haben kann.

    Wenn unter dem Deckmantel von Wagemut, Neugier und glänzenden Raumschiffen die kapitalistische Ordnung in den Weltraum exportiert wird, wird die Science-Fiction mitschuldig an dem Schmerz und Leid, das darauf folgt, weil sie als kulturelle Sprache verwendet wurde, mit der eine solche Ordnung vorgestellt und schließlich etabliert wird. Es gibt jedoch Hoffnung in fantastischer, seltsamer Science-Fiction, die Normen in Frage stellt und eine andere Zukunft envisioniert (wie “A Psalm for the Wild-built” von Becky Chambers, “The Dispossessed” von Ursula K. Le Guin und die “Three Californias”-Reihe von Kim Stanley Robinson, um nur einige Beispiele zu nennen). Es hängt von der Fähigkeit ab, frei zu imaginieren und die Regeln, die die Gegenwart regieren, wirklich neu zu schreiben. Nicht alle von uns mögen veröffentlichte Autoren sein, aber wir alle haben diese Fähigkeit, wir können alle dazu beitragen, bessere Erzählungen zu schaffen, die sich von den Einschränkungen der Gegenwart lösen. Wir können alle die Science-Fiction als Werkzeug nutzen, um frische und verbesserte Zukunftsvisionen zu imaginieren. Gemeinsam können wir kollektiv eine bessere Welt jenseits der Beschränkungen von heute envisionieren.

  • Federated messaging

    Foto von D koi auf Unsplash

    Federated messaging

    In unserer Serie über eine tiefere Auseinandersetzung mit den Tools, die wir bei Konnektiv verwenden, werfen wir heute einen genaueren Blick auf unser Chat-System Matrix / Element. Als wir Konnektiv gründeten, benötigten wir ein Messaging-Tool, um innerhalb des Teams zu kommunizieren. Da alle Gründer*innen sich für private, sichere und Open-Source-Protokolle einsetzten, entschieden wir uns für Signal, das wir alle zuvor sowohl für private als auch geschäftliche Kommunikation verwendet hatten. Wir nutzten verschiedene Gruppen für unterschiedliche Zwecke, und mit der Verwendung von Signal für den Desktop war es eine sehr geeignete Lösung.

    Signal hatte jedoch einen erheblichen Nachteil, als Konnektiv seine ersten Mitarbeitenden hatte: Die Konten waren an eine Telefonnummer gebunden. Und keiner von uns entschied sich dafür, ein Diensthandy zu haben, weil wir uns weder einem zweiten Mobilgerät widmen wollten noch dazu gezwungen sein wollten, Dual-SIM-Geräte zu verwenden. Es war keine wirklich praktikable Option, Signal in dieser Konstellation weiter zu verwenden, da private und geschäftliche Kommunikation miteinander vermischt würden und Mitarbeiter auch an ihren freien Tagen oder Zeiten Benachrichtigungen für neue Nachrichten in ihren Konnektiv-Signalgruppen erhalten würden, was wir vermeiden wollten.

    Unsere Technikabteilung begann dann mit der Evaluierung verschiedener Lösungen. Zu diesem Zeitpunkt bestand unser interner Kommunikations- / Projektworkflow-Stack bereits aus Nextcloud, GitLab, OpenProject und BigBlueButton. Wir benötigten etwas, das die Messaging-Funktionalität von Signal ersetzen würde, ohne zu viel Funktionalität unserer anderen Systeme zu duplizieren. Die beiden finalen Kandidaten in unserer Suche waren Mattermost und Matrix/Element. Während Mattermost im Wesentlichen eine Open-Source-Version von Slack ist, war Element das Messaging-System, nach dem wir suchten.

    Element verwendet die Matrix-API, eine Reihe von offenen APIs für dezentrale Kommunikation. Wir richteten unseren eigenen Matrix-Heimserver und einen Element-Server unter element.konnektiv.de ein. Auf diese Weise konnten Element-Benutzernamen dem gleichen Muster wie unsere E-Mail-Adressen folgen, was es leicht machte, jeden bei Konnektiv über Element zu kontaktieren, wenn man ihre E-Mail-Adresse kannte. user@konnektiv.de wird einfach zu @user:konnektiv.de auf Element.

    Ein Merkmal, das bei diesem Messaging-System hervorsticht, ist die Dezentralisierung, was bedeutet, dass es keine einzelne Entität gibt, die das Netzwerk kontrolliert, sondern dass es sich vielmehr um eine Föderation von Servern handelt, die das Messaging-Netzwerk ausmachen und über die offene Matrix-API miteinander kommunizieren. Föderation ist kein völlig neues Konzept. In den frühen 1980er Jahren wurden Standards entwickelt, um E-Mails zwischen verschiedenen Computernetzwerken zu versenden. In den 1970er Jahren wurden E-Mails hauptsächlich innerhalb desselben Netzwerks verwendet, ohne dass sie Personen in anderen Netzwerken erreichen konnten. Das war die Zeit, als E-Mail föderiert wurde, und wir verwenden es immer noch als Standardkommunikationsmittel zwischen Unternehmen. Diese Möglichkeit der Föderation war wahrscheinlich eines der Schlüsselelemente für den Erfolg von E-Mails bis heute (obwohl es die Big Players in den letzten Jahren immer schwieriger machen, dass kleine Mailserver im Spiel bleiben, was de facto zu einem Oligopol führt).

    Zwei Vögel die miteinander kommunizieren

    Foto von Karina Vorozheeva auf Unsplash

    In den letzten 20 Jahren haben wir uns jedoch an zentral gesteuerte Kommunikationsplattformen wie WhatsApp, Skype, Facebook, Instagram, Twitter usw. gewöhnt, bei denen ein Unternehmen die vollständige Kontrolle über das gesamte Netzwerk hat und entscheiden kann, wer unter welchen Bedingungen Zugang zum Netzwerk erhält, welche Inhalte moderiert, geduldet, gelöscht oder nicht gelöscht werden. Natürlich unterliegt auch dies einer staatlichen Regulierung, aber ob diese tatsächlich befolgt wird, ist eine ganz andere Geschichte. Was passieren kann, wenn diese Art von Macht in den Händen eines Unternehmens liegt, wurde der Welt im letzten Jahr vor Augen geführt, als Elon Musk Twitter kaufte und es im Grunde innerhalb eines Jahres in ein Netzwerk verwandelte, das Rassismus und Homophobie propagiert.

    Aus diesem Grund haben wir von Konnektiv, neben Hunderten von anderen Organisationen, dieses Jahr beschlossen, unsere Aktivitäten auf Twitter Stück für Stück einzustellen und ein Mastodon-Konto eingerichtet. Sie sind herzlich eingeladen, uns auf https://social.tchncs.de/@knnktv zu folgen.

    Wie bei Matrix handelt es sich bei Mastodon um ein föderiertes Netzwerk von Servern, was bedeutet, dass es keine zentrale Kontrolle darüber gibt. Um genau zu sein, ist Mastodon nur ein Dienst innerhalb eines ganzen Netzwerks von föderierten Diensten, dem Fediverse. So wie jeder seinen eigenen Matrix-Home-Server einrichten kann, kann man auch seinen eigenen Mastodon-Server mit einem eigenen Verhaltenskodex und eigenen Moderationsregeln einrichten.

    Kürzlich hat sogar Meta beschlossen, das ActivityPub-Protokoll zu unterstützen, und Threads für die Anbindung an das Fediverse geöffnet, wobei andere Akteure wie Flipboard diesem Schritt erst diese Woche gefolgt sind. Vor allem die Anbindung von Threads an das Fediverse sorgt für Diskussionen unter den Mastodon-Server-Administratoren und -Nutzern darüber, ob sie Threads vollständig sperren sollen, weil Meta es versäumt hat, auf Hassreden angemessen zu reagieren.
    Es wird spannend zu beobachten sein, wohin all diese Bewegung in der Welt der sozialen Medien im kommenden Jahr führen wird.

  • Die Macht der Spekulation in einer Welt von Vorhersagen

    Image by Pete Linforth from Pixabay

    Die Macht der Spekulation in einer Welt von Vorhersagen

    Eine kurze Geschichte der prädiktiven Mathematik

    Seit Tausenden von Jahren versuchen Menschen, die Zukunft vorauszusagen, indem sie in die Sterne blicken, Knochenwürfel werfen oder die Linien der Handfläche lesen. Trotz Spekulationen und Wetten auf die Zukunft im Laufe der Jahrhunderte waren die meisten Menschen größtenteils nicht in der Lage, sie zu berechnen. Doch im Jahr 1654 veränderte eine Serie von Briefen zwischen Blaise Pascal und Pierre de Fermat die Welt, indem sie die Möglichkeit eröffneten, die Zukunft zu prognostizieren, indem sie Wahrscheinlichkeiten mathematisch bewerteten. Heutzutage sind wir daran gewöhnt, unser Leben zu gestalten, indem wir Risiken kalkulieren: Wie wahrscheinlich ist es, einen guten Job zu finden, wenn ich ein bestimmtes Fach an der Universität studiere? Wie viel sollte ich in eine Rentenversicherung investieren, um im Alter ein komfortables Leben führen zu können? Vor Blaise und Pascal war dies eine fremde Denkweise. Umso mehr, da wir heute unsere Welt formen, indem wir Algorithmen diese Risiken für uns berechnen lassen.

    In ihrem Briefwechsel schufen Blaise und Pascal die mathematischen Grundlagen, die für die prädiktive Analytik benötigt werden. Prädiktive Analytik beschreibt die Praxis, “Informationen aus vorhandenen Datensätzen zu extrahieren, um Muster zu erkennen und zukünftige Ergebnisse und Trends vorherzusagen”. Eine Reihe von statistischen Techniken werden heute verwendet, um prädiktive Analytik durchzuführen, darunter Data Mining, Modellierung und maschinelles Lernen, die alle dazu dienen, historische Informationen zu analysieren, bzw. Daten aus der Vergangenheit zu verwenden, um Vorhersagen über das Unbekannte und Kommende zu treffen. Prädiktive Analytik kann bewerten, was in der Zukunft wahrscheinlich geschehen wird, basierend auf den Eingabedaten, kann jedoch nicht vorhersagen, was tatsächlich passieren wird, obwohl wir oft den Fehler machen, genau das zu glauben.

    Heutzutage leben wir in einer von Daten und Algorithmen gesteuerten Welt. Jeden Tag lassen wir Algorithmen unsere Entscheidungen darüber beeinflussen, welchen Film wir sehen oder in welche Aktien wir investieren könnten. Algorithmen sagen voraus, auf welche Werbeanzeigen wir am ehesten reagieren werden, und welche Entscheidungen selbstfahrende Autos treffen sollten. Unsere Daten werden mit oder ohne Zustimmung gesammelt und von Datenwissenschaftlern genutzt, um “die Zukunft zu erraten”. Dies ist grundsätzlich keine negative Entwicklung. Viele soziale Anwendungsfälle werden entwickelt, wie beispielsweise die prädiktiven Modelle, die am John Jay College of Criminal Justice in New York City entwickelt wurden, um zu identifizieren, welche Studierenden Gefahr laufen, das College abzubrechen, und sie bis zum Abschluss zu unterstützen. In unserer zunehmend komplexen und informationsreichen Welt können Algorithmen wichtige Werkzeuge sein, um zu verstehen, was in unserer Umgebung wichtig ist.

    Warum ist es keine gute Idee, sich auf die Vorhersage großer Daten zu verlassen?

    Allerdings kann KI-basierte Entscheidungsfindung auch bestehende Vorurteile fortsetzen und dazu beitragen, die Überwachungswirtschaft weiter zu verfestigen. Zahlreiche Fälle dokumentieren falsch gelaufene prädiktive Polizeiarbeit oder rassistische Gerichtsurteile aufgrund voreingenommener Daten. Diese Beispiele (von denen viele wahrscheinlich nicht dokumentiert wurden) zeigen die Gefahren auf, die mit der Verwendung vereinfachter Datenmodelle in sensiblen sozialen Umgebungen einhergehen. Daten-Determinismus beeinflusst unser Leben nicht nur in Extremsituationen wie der Strafverfolgung, sondern auch im täglichen Leben – durch sexistische, rassistische, altersbezogene und behindertenfeindliche Suchergebnisse, Einstellungspraktiken und Gestaltung und Bereitstellung von Gesundheitsdiensten. Da diese Systeme so normalisiert sind, neigen wir dazu, ihre Auswirkungen herunterzuspielen, was es Unternehmen aus dem Silicon Valley ermöglicht, ihre Richtlinien als Regeln für die Gesellschaft und Individuen durchzusetzen. Zum Beispiel erklärt AirBnB, dass jede Buchung “auf Risiko bewertet wird, bevor sie bestätigt wird. Wir verwenden prädiktive Analytik und maschinelles Lernen, um sofort Hunderte von Signalen zu bewerten, die uns dabei helfen, verdächtige Aktivitäten zu erkennen und zu untersuchen, bevor sie passieren.” Da diese Richtlinie dem Unternehmen effektiv erlaubt, das Web nach Informationen zu durchsuchen, wurden mehrere Nutzer als “verbunden” mit gefälschten Profilen in sozialen Netzwerken oder mit Schlüsselwörtern, Bildern oder Videos markiert, die auf eine Beteiligung an Drogen, Alkohol oder Sexarbeit hindeuteten. Dazu gehörten auch mehrere Sexarbeiterinnen, deren Konten gelöscht wurden, obwohl sie AirBnB ausschließlich für private, touristische Zwecke genutzt hatten. Natürlich hätte jedes der großen Technologieplattformen als Beispiel für diese Art der Verwendung prädiktiver Analytik dienen können – es ist keineswegs spezifisch für AirBnB.

    Ein dunkler Raum mit Lichtinstallation. Schatten von einigen Menschen sind zu erkennen.

    Foto von Robynne Hu auf Unsplash

    Die auf Daten basierenden Realitäten und Zukünfte, die wir schaffen, gründen auf den Daten der Vergangenheit. Um uns von den rückwärtsgerichteten, deterministischen Strukturen zu lösen, die wir heute programmieren, müssen wir diese Daten ergänzen. In ihrem TedxCambridge-Vortrag erklärt die Ethnografin und Datenwissenschaftlerin Tricia Wang, dass uns mehr Daten nicht helfen, “bessere Entscheidungen zu treffen”, wenn wir wichtige, kontextualisierende Perspektiven außer Acht lassen. Stattdessen plädiert sie für die Humanisierung von Daten – das, was sie “dick data” nennt – große Datenmengen, die mit nicht quantifizierbaren, qualitativen Daten angereichert wurden, die aus einer ethnografischen Perspektive gesammelt wurden und “Tiefe der Bedeutung” liefern. Wang zieht diese Schlussfolgerung aus ihren eigenen Erfahrungen in China im Jahr 2009, als sie den Siegeszug des Smartphones über das herkömmliche Mobiltelefon vorhersagte. Zu dieser Zeit war ihr Kunde Nokia nicht bereit, den Geschichten zuzuhören, die sie hinter den Daten gesammelt hatte, sondern klammerte sich an die Überzeugung, dass die Menschen nicht bereit wären, so viel ihres Einkommens in ein so fragiles Gerät zu investieren.

    Umfragen und andere Formen der Vorhersage, wie Prognosen, scheitern, wenn Daten gelesen werden, ohne auf die nuancierteren Verschiebungen in politischen Allianzen und der Mobilisierung von Wählern zu achten, beispielsweise bei der Wahl von Präsident Trump und dem Brexit-Votum in Großbritannien. Um Daten effektiv nutzen zu können, müssen wir lernen zu sehen, was uns die Daten nicht zeigen. Wie Wang warnt: “Es gibt kein größeres Risiko, als blind für das Unbekannte zu sein”. 

    Die Macht der Spekulation und der politischen Vorstellungskraft im Blick auf das Unbekannte

    Indem wir uns von den Daten entfernen und die Möglichkeiten außerhalb des Messbaren erkunden, können wir beginnen, zu erahnen, was derzeit unbekannt ist. In seinem Vortrag ‘Die politische Tragödie des datengetriebenen Determinismus’ beschreibt Mushon Zer-Aviv den Prozess der Entwertung durch die Integration digitaler Dienste in unseren Alltag. Ist es wichtig, ob wir einfache Kopfrechenübungen vergessen, Telefonnummern auswendig lernen oder eine Karte lesen können? Vielleicht, aber es ist nicht akzeptabel, dass wir unsere Fähigkeit verlieren, sich unterschiedliche Zukünfte vorzustellen. Zer-Aviv betont die Bedeutung der Aufrechterhaltung und Schulung unserer “Fähigkeit zur politischen Vorstellungskraft”, und erinnert uns daran, dass das 20. Jahrhundert gezeigt hat, wie die Utopie einer Person für jemand anderen zum Albtraum werden kann. Deshalb müssen wir die Zukunft nicht als linear und deterministisch, sondern als vielfältig betrachten. Und weil es uns oft leichter fällt, nicht wünschenswerte Zukünfte in Form von Dystopien zu formulieren, benötigen wir Werkzeuge, um uns bei der Entwicklung erstrebenswerter Zukünfte zu unterstützen.

    Zwei Hochhäuser im ökobrutalistischen Look aus der Vogelperspektive.

    Foto von Nazarizal Mohammad auf Unsplash

    Spekulation ist ein solches Werkzeug. Es ist der Prozess des “Bildens einer Theorie oder Vermutung ohne feste Beweise” oder “die Tätigkeit, mögliche Antworten auf eine Frage zu erraten, ohne genug Informationen zu haben, um sicher zu sein”. In der heutigen datengetriebenen Gesellschaft kann Spekulation befreiend sein. Wie Anthony Dunne und Fiona Raby in ihrem Buch ‘Spekulatives Alles’ argumentieren: Wir glauben, dass durch vermehrte Spekulation auf allen Ebenen der Gesellschaft und durch die Erkundung alternativer Szenarien die Realität formbarer wird und obwohl die Zukunft nicht vorhergesagt werden kann, können wir dazu beitragen… Faktoren zu setzen, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass wünschenswertere Zukünfte eintreten… ebenso können Faktoren, die zu unerwünschten Zukünften führen könnten, frühzeitig erkannt und angegangen oder zumindest begrenzt werden. Profis aus verschiedenen Disziplinen wie Design, Geschäftsentwicklung, Gaming und politischer Philosophie können solche Ansätze bieten. In den letzten Jahren wurden zahlreiche Methoden und Werkzeuge entwickelt, von denen einige in dieser Publikation vorgestellt werden, die uns einladen, zu spekulieren, zu imaginieren und zu schaffen, anstatt einfach zu rechnen, zu analysieren und zu bewerten.

    Im Jahr 1952, rund dreihundert Jahre nach dem Briefwechsel zwischen Blaise und Pascal, der es den Menschen ermöglichte, Wahrscheinlichkeiten zu berechnen, schuf Christopher Strachey das, was als das erste Stück digitaler Literaturkunst bezeichnet wurde, einen kombinatorischen Liebesbrief-Algorithmus für den Manchester Mark 1-Computer. Heute steht die generative KI ganz oben auf der Agenda für digitale Politikgestalter, Aktivisten und Theoretiker. Als Gesellschaft befassen wir uns mit Fragen wie: Welche Aufgaben sollte KI erlaubt sein auszuführen, wie unterscheiden wir zwischen Werken, die von KI und von Menschen geschaffen wurden, und wie viel Entscheidungsgewalt sollte KI über unser Leben haben. Gleichzeitig, während wir unsere Maschinen lehren zu erschaffen, sollten wir unsere eigene Kreativität und Handlungsfähigkeit bewahren, um zu erforschen, was durch sie erreicht werden kann, anstatt uns auf sie zu verlassen, um unsere Zukunft gemäß unserer Vergangenheit vorherzusagen.

  • Interview Superrr

    Photo von Muhammad Salah

    Interview mit Superrr

    Für die zweite Ausgabe von Konnektiv_Impuls freuen wir uns, die feministische Organisation Superrr zu begrüßen. Neben dem Fokus auf die Erforschung alternativer Zukünfte und sozialer Auswirkungen neuer Technologien, setzt Superrr auf interdisziplinäre Zusammenarbeit und den Aufbau von Netzwerken. Ihre Vision ist es, gerechtere und inklusivere Zukünfte zu gestalten. In diesem Interview erfahren wir mehr über ihre Expertise in feministischen digitalen Zukünften, Gedanken zur deutschen Digitalpolitik und zu postkolonialer Machtungleichgewichten. Willkommen!

    Die deutsche Regierung verfolgt in ihrer Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit zunehmend feministische Agenden. Was sollte eine intersektionale feministische Digitalpolitik beinhalten und was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Elemente?

    In Anlehnung an die feministische Außenpolitik überschreitet eine feministische Digitalpolitik die Grenzen aktueller digitalpolitischer Perspektiven und nimmt eine proaktive, intersektionale Haltung ein. Feministische Digitalpolitik steht für einen Paradigmenwechsel: weg von “höher, weiter, schneller” hin zu “nachhaltiger, gerechter und menschenzentrierter”. Sie richtet ihre Prioritäten nach sozialen, nicht nur wirtschaftlichen Bedürfnissen aus. Durch eine intersektionale feministische Linse werden soziale Fragen wie Zugang, Mitgestaltung, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit angesprochen. Wenn es uns gelingt, die Perspektiven der Digitalpolitik auf diese Weise zu verändern, wird sie eine ganz andere Wirkung erzielen: Sie hat das Potenzial, Ungleichheiten nicht nur auf gesellschaftlicher, sondern auf globaler Ebene abzubauen.

    Es gibt einen entscheidenden Aspekt, der unserer Meinung nach nicht genügend Beachtung findet: Feministische Digitalpolitik ist ein (⁠Lern⁠-⁠)⁠Prozess und keine Programmatik. In diesem herausfordernden, sich ständig verändernden Politkumfeld müssen wir unsere Methoden kontinuierlich bewerten, lernen und verbessern. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Digitalpolitik: Mit dem selbsterklärten Ziel, einen globalen Effekt zu erzielen, muss Digitalpolitik auch global diskutiert und international gedacht werden, anstatt die Interessen einzelner Nationalstaaten zu verfolgen. Eine feministische Sichtweise kann dabei helfen, diesen lange antrainierten Reflex zu überwinden und radikal andere Politikansätze anzuwenden, welche den Menschen, denen sie dienen sollen, ermächtigen und schützen.

    Wie sieht Ihrer Meinung nach diese Agenda in der deutschen Digitalpolitik aus und gibt es Widersprüche?

    Leider beschränkt sich die deutsche Digitalpolitik sehr auf das vermeintliche geopolitische Wettrennen mit China und den USA. Dieses Narrativ schürt die Angst, dass Europa abgehängt und isoliert wird und wirtschaftlich im Nachteil ist. Deshalb beschränkt sich Digitalpolitik in Europa häufig darauf, auf Entwicklungen in anderen Ländern zu reagieren, statt eigene Leitbilder zu entwickeln und sich auf eigene Stärken zu besinnen. Der Fokus auf beispielsweise China und die USA verstellt außerdem den Blick darauf, dass Digitalthemen eben global sind und wir gerade deshalb breite Allianzen brauchen statt ein Wettrennen. Für uns ist die Idee, dass wir als Gesellschaft um jeden Preis mit jedem neuen technischen Hype mithalten müssen oder schneller sein müssen als andere, ist mit vielen Nachhaltigkeitszielen und sozialpolitischen Ansprüchen nicht vereinbar. Angst ist nie ein guter Ratgeber.

    Es gibt aber auch Hoffnungsschimmer: die Digitalstrategie der Bundesregierung Deutschland von 2022 legt fest, dass sie sich vermehrt mit Machtstrukturen und Denkansätzen wie der feministischen Digitalpolitik auseinander setzen will, um die Risiken und Gefahren der digitalen Transformation besser zu verstehen. Bisher sehen wir dazu nicht wirklich viel, das sich bewegt. Umso mehr ist es ein Ansporn für uns, endlich mehr politisches Handeln einzufordern.

    Welche Rolle kann die organisierte Zivilgesellschaft in Deutschland potenziell spielen, um eine wirklich intersektionale feministische Gestaltung und Umsetzung digitaler Politik in Deutschland zu fördern?

    Politik ist von Natur aus reformistisch. Sie ist meistens nicht in der Lage, die Institutionen, in denen sie praktiziert wird, grundlegend zu verändern und zu transformieren. Ein echter Wandel der politischen Institutionen, insbesondere in Richtung eines intersektionellen feministischen Ansatzes, kann nur stattfinden, wenn die Zivilgesellschaft diesen Wandel vorantreibt und zeigt, wie er umgesetzt werden kann. Andererseits ist die organisierte Zivilgesellschaft nicht unbedingt progressiv, geschweige denn intersektional feministisch. Aber eine intersektionale Allianz von Akteur*innen der Zivilgesellschaft, die progressive Ziele und Werte teilen und ihre Expertise in die Formulierung besserer politischer Forderungen einbringen, kann eine mächtige Bewegung sein. Sie kann nicht nur aufzeigen, wo Politik Ungerechtigkeiten schafft, sie kann auch glaubhaft eine Vision von einer gerechten Welt vermitteln und wie wir sie gemeinsam erreichen können.

    Eine Grafik des Super Labs: Auf Orange-Blau-Rosanem Hintergrund steht das Wort "SUPERRRR" in schwarz und weiß

    Grafik von superrr.net

    Wie trägt die Arbeit von Superrr Lab zu einer intersektionalen feministischen Digitalpolitik in Deutschland bei? Was sind die verschiedenen Aspekte und Projekte, an denen Sie arbeiten?

    Unser Ziel ist es, wünschenswerte Zukünfte zu gestalten, in denen nicht die Gesellschaft digital transformiert wird, sondern die Digitalisierung ihren Beitrag zur sozial-ökologischen Transformation eistet. Wir tun dies durch drei Hauptsäulen unserer Arbeit:

    Erstens unterstützen wir durch unsere Fellowship-Programme „Muslim Futures“ und „Risktakers“Einzelpersonen und erforschen Zukunftserzählungen. Diese Einzelpersonen und kleinen Teams erforschen Erzählungen von den Rändern – Projekte und Ideen, die noch nicht zum Mainstream gehören, aber für ihre Communities wichtig sind, wenn es darum geht, ihre Zukunft aktiv zu gestalten. Ein Beispiel aus dem jüngsten Fellowship ist ein Online-Comic-Magazin, das eine feministische und integrative Vision für die Zukunft des Internets im Nahen Osten und Nordafrika (MENA) vorschlägt. Shatha und Sereen, die als Fellows an diesem Projekt arbeiten, stammen aus Palästina und sind Teil der queeren Gemeinschaften in ihrer Region.

    In unserer Forschungsarbeit untersuchen wir die sozialen Auswirkungen von Technologie, indem wir uns ansehen, wie technologische Folgenabschätzungen durchgeführt werden oder wie Zukunftsforschungsmethoden intersektional gestaltet werden können.

    In unserer feministischen Lobbyarbeit hinterfragen wir die Macht und den Zweck von Technologie in der Gesellschaft, indem wir mit Politikern oder Ministerien zusammenarbeiten, öffentliche Veranstaltungen organisieren oder unsere Website zu feministischen Ansätzen in der Technologiepolitik veröffentlichen.

    Die Vergangenheit anzuerkennen ist ein wichtiger Teil der Arbeit an der Zukunft, die wir wollen. Was ist Ihrer Meinung nach die Rolle, die politische Entscheidungsträger und die Zivilgesellschaft bei der Beseitigung postkolonialer Machtasymmetrien spielen (sollten), insbesondere wenn es um die Macht über Daten geht?

    Digitalpolitische Vorhaben in Deutschland oder der EU haben immer globale Auswirkungen oder sogar den expliziten Anspruch, global wirksam zu sein. Zudem werden sie in einem post-kolonialen Kontext geplant und umgesetzt, was es Europa ermöglicht, von seiner Vormachtstellung zu profitieren. Deshalb sollen Akteur*innen der Digitalpolitik ihre Handlungen in einem globalen Kontext bewerten, Solidarität beweisen und dafür Sorge tragen, das Machtgefälle zu verkleinern.

    So muss eine feministische digitale Außenpolitik auf eine digitale Infrastruktur hinarbeiten, die nicht auf ausbeuterische Arbeit und eine extraktive Wirtschaft im globalen Süden angewiesen ist. Doch die sozial-ökologischen Auswirkungen digitaler Technologien wurden lange Zeit übersehen. KI-Systeme benötigen große Mengen an hochwertigen Trainingsdaten, um zu funktionieren und um sich zu verbessern. Diese Daten werden in der Regel von menschlichen Datenarbeiter*innen bearbeitet, die Aufgaben wie Datenbereinigung, -kommentierung und -kategorisierung übernehmen. Ein Großteil dieser Arbeit wird in Länder mit niedrigen Löhnen ausgelagert, wo die Arbeiter*innen unter ausbeuterischen Arbeitsbedingungen arbeiten. Im Rahmen unserer feministischen Digitalpolitik haben wir mit Content-Moderator*innen in Deutschland und Kenia zusammengearbeitet. Ihre Stimmen sind wichtig, wenn es um politische Debatten geht. Sie müssen Teil der politischen Diskussionen über KI und Arbeit sein.

    Ein Großteil Ihrer jüngsten Arbeit konzentriert sich auf die Arbeitsbedingungen für Moderatoren von Social-Media-Plattformen. Könnten Sie kurz beleuchten, warum es notwendig ist, die prekären Arbeitsbedingungen zu thematisieren und sich für den Schutz der Rechte dieser besonderen Arbeitnehmergruppe aus einer dekolonialen intersektionalen feministischen Perspektive einzusetzen?

    Zu wenige Menschen wissen, dass Content Moderator*innen quasi die Ersteinsatzgruppe der sozialen Medien sind; sie schützen den Rest von uns vor gewalttätigen Inhalten. Sie sehen sich Videos von Mord, Vergewaltigung, Selbstmord und sexuellem Kindesmissbrauch an – damit wir das nicht müssen. Sie arbeiten in dunklen Räumen. Ihre Arbeitgeber*innen wollen nicht, dass man sie sieht, aber sie sitzen hinter den Kulissen und genießen kaum Schutz und Anerkennung. Die Belastung für das Leben der Content-Moderator*innen ist zu hoch, und der Schutz und die Bezahlung sind zu gering. Ein Content-Moderator sagte uns: “Big Tech wird auf dem Rücken der gebrochenen afrikanischen Jugend aufgebaut.” Die meisten Moderator*innen arbeiten in Ländern, die zur globalen Mehrheit gehören, oder kommen aus solchen Ländern.

    Und das ist der Grund, warum wir als intersektionelle feministische Organisation gegen die Ausbeutung von Content-Moderator*innen kämpfen müssen. Diese Überschneidungen von Ungerechtigkeiten machen uns wütend und zeigen, dass die Art und Weise, wie die Digitalisierung derzeit funktioniert, für die ganz wenigen und die ganz Reichen funktioniert. In unserem Verständnis einer feministischen Perspektive müssen die Folgen der Digitalisierung für die gesamte Gesellschaft global bewertet werden – im Kontext der bestehenden Ungleichheiten. Auf dieser Basis sollen Entscheidungs­träger*innen Maßnahmen priorisieren, die denjenigen nutzen, die am negativsten von den Auswirkungen der Digitalisierung betroffen sind. Dieser Prozess, der sich an der Leitlinie „from the Margins to the Center“ orientiert, würde bedeuten, die Moderator*innen in das Zentrum der Entscheidungsfindung zu rücken.

    Wir bedanken uns bei dem Team für das tolle Gespräch!