Warum die Visapolitik Deutschlands das Gegenteil feministischer Außenpolitik ist
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Warum die Visapolitik Deutschlands das Gegenteil feministischer Außenpolitik ist
(It’s not feminism if you can’t get a visa as a woman, stupid!)
Seit 10 Jahren organisiere ich internationale Zusammenkünfte von Digitalisierungs-Expert*innen aus unterschiedlichsten Weltregionen im Kontext der re:publica, sowie deren Auftritte als Sprecher*innen auf der re:publica. Als eine von Europa’s größten Veranstaltungen zu Digitalisierung und Gesellschaftsthemen, ist die re:publica Aushängeschild der Hauptstadt, wenn nicht der Republik in Sachen Digitalisierung und fungiert als öffentlicher Diskursraum für Digitalisierungs- und Zukunftsdebatten. Es gab kein re:publica Jahr ohne negative Erfahrungen mit deutschen Botschaften beim Versuch, Menschen aus Ländern des Globalen Südens einzuladen, insbesondere Frauen.
Vor neun Jahren wurde Harinjaka, ein Mitglied des Netzwerks Global Innovation Gathering, und späterer Ministeriumsmitarbeiter aus Madagaskar auf dem Weg zur re:publica am Flughafen Charles de Gaulle in Paris verhaftet und drei Tage lang in Abschiebehaft gesteckt. Die Begründung: Er hatte zwar ordnungsgemäß sein ausgestelltes Schengen-Visum, seinen von uns ausgestellten Einladungsbrief mit Garantie zur Kostenübernahme, seinem Rückflugticket und seinem Eintrag als Speaker auf der re:publica Website ausgedruckt dabei; aber die Hotelreservierung, die konnte er nur digital vorzeigen. Täglich boten ihm Beamte am Flughafen an, er könne direkt problemlos zurückfliegen. Er wollte allerdings zur re:publica und wartete drei Tage in seiner Abschiebezelle, bis der damalige Menschenrechtsbeauftragte des AA, Markus Löning, intervenierte. Kurz danach wurde Harinjaka freigelassen und durfte zur re:publica weiterreisen. Am letzten Tag der Veranstaltung hatte er seinen Bühnenauftritt.
Seitdem haben wir als einladende Organisation viel gelernt. Wir wissen, was passieren kann, wenn nur ein Schriftstück in einer Mappe von Antragsdokumenten fehlt oder unklar formuliert ist. Auch politisch ist seitdem viel passiert. Wir haben eine Außenministerin mit dem Anspruch, eine neue Ära der feministischen Außenpolitik einzuleiten. Die brauchen wir. Sie muss aber auch eine transparentere, fairere und feministische Visapolitik beinhalten. Hier hat sich nämlich in den letzten zehn Jahren sehr wenig verändert. Europa, insbesondere Deutschland, tut sein Bestes, potenzielle Fachkräfte, Partner*innen und inspirierende Innovator*innen davon abzuhalten, hierherzukommen – insbesondere wenn sie weiblich sind.
Eine Reihe intransparenter, veralteter Verfahren und Prozesse kennzeichnet die aktuelle Visapolitik der Bundesrepublik Deutschland, angefangen mit der Terminvergabe. In vielen Ländern funktioniert die Terminvergabe ungefähr so gut wie die der Berliner Bürgerämter – es ist schwer, an einen Termin zu kommen. So schwer, dass sich in Ländern wie dem Irak ein Schwarzmarkthandel entwickelt hat und Visatermine so gut wie ausschließlich über diesen Weg für mehrere hundert Dollar ergattert werden können. In manchen Ländern wie Ägypten sind kostenpflichtige telefonische Vergabeservices von Drittanbietern zwischengeschaltet, die sowohl Geld als auch die Daten der Visa-Antragstellenden abgreifen.
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In zahlreichen Ländern akzeptieren die deutschen Botschaften nach wie vor keine E-Mails oder elektronisch übermittelten Dateien. Sie fordern stattdessen, dass z.B. nachzureichende Schriftstücke per Post zugesendet werden – in Ländern, in denen die Postzustellung oft nicht nur sehr teuer, sondern auch unzuverlässig ist, sodass dadurch erhebliche Zeit- und Kostenaufwände entstehen und der Prozess Risiko-anfälliger wird. Oft fragt man sich, ob hierdurch das Außengeschäft von DHL gefördert werden soll oder warum sonst moderne Kommunikationsmedien mit einer solchen Beharrlichkeit ignoriert werden.
Hat man erst mal einen Termin, wird man nicht unbedingt als Geschäftsreisende*r, sondern eher als potenzieller Flüchtling behandelt. Vor allem junge Frauen berichten immer wieder von verhörartigen Interviews, bei denen Fragen zum Familienstand und zum Heiratsinteresse eher die Norm als die Ausnahme sind.
Dies war dieses Jahr der Fall für eine Person aus dem Irak. Sama ging zusammen mit ihrem männlichen Kollegen zum Termin in die Botschaft. Am Ende des Gesprächs fragte der Interviewpartner, ob sie verheiratet sei. Als sie dies verneinte, meinte er, sie hätte sehr schlechte Chancen ihr Visum zu bekommen. Wir reagierten, indem wir auf ihren Wunsch ein extra Schreiben an die Botschaft sendeten, in dem nochmals ausdrücklich von uns garantiert wurde, dass sie aus professionellen Gründen nach Deutschland reisen möchte, dass wir alle Kosten und die Verantwortung für ihre Rückreise in den Irak übernehmen. In diesem Fall hatten wir Glück und ihr Visum wurde ausgestellt. Anders war es leider bei Bezawork aus Äthiopien. Ihr Visumantrag wurde abgelehnt, mit der Begründung, unsere Dokumentation habe nicht ausgereicht und die Sorge bestünde, sie könne sich den Aufenthalt nicht leisten, beziehungsweise würde nicht in ihr Land zurückkehren. Daher durfte die Leiterin des FabLabs an der Universität in Bahar Dar nicht kommen, obwohl sie mit unserem Einladungsschreiben, einer Hotelbestätigung und allen anderen Dokumenten ausgestattet war, die der Botschaft hätten diese Sorge nehmen können. Auf unseren Einspruch hierzu erhielten wir keinerlei Antwort. In den meisten Fällen wird eine Ablehnung gar nicht erst begründet. Das Muster ist jedoch meistens dasselbe: Unverheiratete Frauen haben es wesentlich schwerer als ihre männlichen Kollegen, ein Visum zur Einreise nach Deutschland zu erhalten, um Geschäftsreisen anzutreten oder Konferenzen zu besuchen. Natürlich leiden auch männliche Personen unter der intransparenten und restriktiven Visapraxis. Und ebenso Deutschland und Europa – denn die Politik der Festung Europa in den Visaabteilungen der deutschen Botschaften fortzusetzen ist ein falscher, nicht zukunftsfähiger Ansatz.
Wie lange können wir uns diese Visapolitik leisten? Dass Deutschland und Europa vor allem im IT-Bereich unter einem Fachkräftemangel leiden, ist schon lange klar und wird immer akuter. Dass wir hier nicht die Vorreiter in digitaler Innovation sind, sondern von inspirierenden Beispielen aus aller Welt lernen könnten auch. Darüber hinaus haben Europa und Deutschland ein Interesse an neuen Bündnispartnern im Zuge sich verschiebender, geopolitischer Allianzen, sowie im Kontext des europäischen Versuchs, einen regulativen, menschenrechtszentrierten Ansatz der Digitalisierung in Europa zu etablieren, der auch in andere Regionen der Welt ausstrahlt. Hierzu braucht es Gespräche, Begegnungen, Austausch und das Verständnis, dass uns Menschen aus anderen Ländern nicht immer nur unseren Wohlstand wegnehmen wollen, sondern einen wesentlichen Beitrag leisten können, diesen für zukünftige Generationen zu erhalten.