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  • Interview Renata Ávila Pinto

    Foto von George Milton von Pexels

    Interview mit Renata Ávila Pinto

    Konnektiv sprach mit Renata, Expertin für globale Digitalpolitik und Geschäftsführerin der Open Knowledge Foundation, über ihre Perspektiven zu internationaler Zusammenarbeit und digitalem Wandel, insbesondere über ihre Empfehlungen zur zukünftigen Rolle deutscher und europäischer Akteure und Policies für digitale Entwicklungszusammenarbeit.

    Auf globaler Ebene erleben wir einen Wettlauf um die digitale Vorherrschaft in Bezug auf Infrastruktur, Anwendungen und vor allem Daten und KI. Wo sehen Sie die dringlichste Notwendigkeit für die Akteure der internationalen Zusammenarbeit, sich klar zu positionieren und dies auch in die Politik einfließen zu lassen?

    Derzeit sind Entwicklungsländer Spielball im geopolitischen Kampf um die technologische Vorherrschaft zwischen den USA und China. Seitens der USA und anderer westlicher Technologieexporteure wird hier viel Panik geschürt, z.B. im Bereich Cybersicherheit, wo davor gewarnt wird chinesische Lösungen einzusetzen. Wir haben dies in der vorherigen US-Regierung mit Pompeo und dem Clean Network gesehen. In diesem Kampf verlieren in erster Linie die Entwicklungsländer und nicht die Industrieländer, aber Europa zählt hier auch zu den Verlierern, da es derzeit keine Alternative zu den Angeboten der USA oder Chinas bietet. Die europäische internationale Zusammenarbeit muss sich mit dieser aktuellen Situation und der künftigen Rolle Europas auseinandersetzen und anfangen Alternativen in Kooperation mit Ländern des Globalen Südens zu entwickeln.

    Was sind Ihrer Meinung nach die dringlichsten Probleme im Hinblick auf digitale Rechte und digitale Entwicklung?

    Ich denke, dass die wichtigste Maßnahme für die internationale Kooperationsgemeinschaft, insbesondere im Zusammenhang mit der Entwicklungszusammenarbeit, darin besteht, Neutralitätsvereinbarungen zu treffen und eine klare Position zur technischen Neutralität einzunehmen. Länder, die bei der Technologieentwicklung und -bereitstellung führend sind, sollen Entwicklungsländer nicht unter Druck setzen oder dazu zwingen, sich für einen Anbieter zu entscheiden oder technologisch Partei zu ergreifen. Wir haben das zum Beispiel bei 5G gesehen und wir könnten es in Zukunft bei Mikroprozessoren, bei Hardware und bei Software erleben.

    Die Entwicklungsländer müssen selbst entscheiden können, welche Lösungen den Anforderungen und Bedürfnissen ihrer Bevölkerung gerecht werden, einschließlich die der ärmsten Menschen. Was wir heute erleben, ist ein Mangel an Autonomie bei der Wahl der billigsten, nachhaltigsten oder effektivsten Lösung aufgrund politischer Prozesse. Deshalb sollten die Akteure der internationalen Zusammenarbeit dazu Stellung nehmen:

    Eine gute Entwicklungspolitik sollte die Neutralität in Bezug auf digitale Hardware, Software und Dienstleistungen gewährleisten.

    Die deutsche Regierung äußert sich sehr verbal über ihre Ziele, auf deutsche und europäische digitale Souveränität hinzuarbeiten, und zeigt auch deutlich ihre Bemühungen, ihre Partnerländer bei der Erreichung digitaler Souveränität zu unterstützen. Wie kann Deutschland Ihrer Meinung nach digitale Souveränität in Ländern des Globalen Südens am besten unterstützen? Welche politischen, technologischen und infrastrukturellen Maßnahmen sind erforderlich und wie können diese partnerschaftlich gestaltet werden?

    Deutschland und Europa verfolgen derzeit eine Politik die durch intensive Durchsetzung von Urheberrechten und Patenten gekennzeichnet ist. Die digitale Souveränität in den Ländern des Globalen Südens könnte aber besser unterstützt werden, wenn stattdessen lokale und internationale Innovation gefördert würden. Dies sollte insbesondere durch offene Innovation und das Teilen offener Ressourcen geschehen. Offene Technologie bzw. offene Innovation kann Länder des Globalen Südens in die Lage versetzen, zu verstehen, wie die deutschen Technologien funktionieren und darauf aufbauend zu innovieren, anstatt gezwungen zu sein, sie zu nur zu übernehmen. Ich denke, dass ein Ansatz der offenen Innovation, der offenen Patente und der offenen Urheberrechte äußerst vorteilhaft wäre, um die technologischen Innovationen, die Deutschland der Welt bietet, zu lokalisieren und anzupassen.

    Im Hinblick auf Infrastruktur wird die Interoperabilität der Schlüssel sein. Ich denke, wir sollten uns nicht darauf fixieren, ob europäische Standards „besser“ sind als chinesische Standards, sondern sicherstellen, dass interoperable Standards adaptiert werden. Wenn ich zum Beispiel einen in China hergestellten Computer und eine in den USA hergestellte Tastatur habe und einen Monitor aus der Europäischen Union anschließen möchte, kann ich das problemlos tun. Diese Art der Interoperabilität würde den Bedürfnissen der Menschen in den Entwicklungsländern besser gerecht werden als die Auferlegung eigener Standards, die auch eine Form des digitalen Kolonialismus sein kann.

    Bei der Gestaltung von Partnerschaften ist es wichtig, Ungleichgewichte anzuerkennen, wie etwa den unbestreitbaren technologischen Vorsprung Deutschlands gegenüber den meisten Ländern des globalen Südens. Daher denke ich, dass wir die Ungleichheiten in Bezug auf das technologische Wissen abbauen sollten durch einen Ansatz des globalen geistigen Eigentums.

    Renata Ávila Pinto

    Foto von Renata Ávila Pinto, Expertin für globale Digitalpolitik und Geschäftsführerin der Open Knowledge Foundation.

    Welche Partnerschafts- und Kooperationsformate würden Sie sich als Nichtregierungsorganisation (NRO) wünschen, um mit europäischen Partnern effektiver an digitalen Themen arbeiten zu können?

    Ich denke, dass das Dringendste ist, diese geopolitische Schlacht und dieses technologische Wettrüsten zu beenden. Ich denke, wir müssen einen Raum für die digitale Entwicklung bewahren, der kooperativ und nicht konfrontativ ist, und nicht nur ein weiterer Raum der Vorherrschaft. Dieser Diskurs über Zusammenarbeit und Kooperation ist in den letzten Jahren verloren gegangen, weil einige Regierungen und Unternehmen ein Wettrüsten veranstaltet haben, um zu dominieren und so schnell wie möglich an die Daten der Unbeteiligten zu kommen.

    Anstatt es so zu verteilen, dass die Länder ihr Potenzial für die digitale Entwicklung wirklich ausschöpfen können, haben wir die Entwicklungsländer dazu gedrängt, importierte extraktive Lösungen anzunehmen. Was wir brauchen, ist nicht Konnektivität um der Konnektivität willen, um der Datenextraktion willen, sondern eine sinnvolle Konnektivität, die es den Ländern ermöglichen sollte, den wirtschaftlichen und grünen Wandel zu bewältigen.

    Als Open Knowledge Foundation glaube ich, dass die Art von Partnerschaften und Formaten der Zusammenarbeit mit europäischen Partnern zu digitalen Themen effektiver sein werden, wenn sie langfristig angelegt sind.

    Ich denke, es ist großartig, Gipfeltreffen zu veranstalten und sich einmal im Jahr zu treffen, aber ich glaube, wir brauchen vor allem eine stabile, mehrjährige Finanzierung, die es ermöglicht verschiedene Interessengruppen zusammenzubringen, interdisziplinär zwischen NRO und Wissenschaft zu arbeiten sowie eine Zusammenarbeit mit anderen Akteursgruppen wie innovativen, kleinen Unternehmen und dem sozialen Businesssektor fördert.

    Wir brauchen auch eine effektivere Zusammenarbeit zwischen NROs aus dem Globalen Süden mit europäischen Partnern zu digitalen Rechten und digitalpolitischen Themen. Wichtig ist, dass es sich dabei nicht um eine Dynamik von Regelmachern und Regelnehmern handeln sollte. Europa muss akzeptieren, dass Länder außerhalb Europas möglicherweise andere Anforderungen an die zu ergreifenden Maßnahmen haben.

    Deutschland arbeitet derzeit an einer neuen internationalen Digitalstrategie. Welche wichtigen Punkte sollten darin enthalten sein?

    Ich würde empfehlen, in die neue deutsche internationale Digitalstrategie eine flexible Beschaffungsklausel aufzunehmen. Ein Schlüsselthema ist wirklich die Synchronisierung von Entwicklungs- und Handelspolitik in der Europäischen Union. Andernfalls ist die digitale Entwicklungszusammenarbeit zum Scheitern verurteilt, da kleine und mittlere Unternehmen im globalen Süden, die ihre eigenen digitalen Lösungen entwickeln, aufgrund von Preisbeschränkungen, Materialbeschränkungen, Beschränkungen bei den Standards usw. niemals auf Augenhöhe mit europäischen Unternehmen konkurrieren können.

    Es ist viel von einem kleinen Unternehmen im globalen Süden zu verlangen den Rückstand aufzuholen, und wenn die Länder Beschaffungsvorschriften ausarbeiten, die die lokalen Anbieter gegenüber den internationalen Anbietern bevorzugen, ist dies ein Verstoß gegen die Handelsregeln.

    Es ist also eine Henne-Ei-Situation. So werden lokale Unternehmen niemals lokale Lösungen und Dienstleistungen anbieten können, weil internationale Unternehmen immer einen Vorsprung haben werden. Ich denke, dass es unabdingbar ist, eine neue fairere Handelspolitik, die auch Datenpolitik beinhalten kann, brauchen, um einen faireren digitalen Wandel zu erreichen.

    Wir bedanken uns bei Renata für den spannenden Input! Erfahren Sie mehr über die Open Knowledge Foundation und ihre Geschäftsführerin in unseren Einblicken & Ausblicken.

  • Digitale Kultur und internationale Projekte

    Foto “I’ve got the power” von Falko One (@falko_fantastic) auf Instagram

    Digitale Kultur und internationale Projekte

    In „Einblicke & Ausblicke“ präsentieren wir spannende Projekte, Kunst, Events u.v.m. rund um digitale Kultur und internationale Zusammenarbeit. Diesmal mit dabei: Renata Ávila Pinto und Falko One.

    African Space Makers

    Mit VR einen immersiven Einblick in die Kreativräume Afrikas erhalten? Die VR-Doku-Fiktionsreihe African Space Makers lässt uns in der Rolle diverser Innovator*innen verschiedene Makerspaces und kreative Projekte in Nairobi und deren sozialen und politischen Einfluss erkunden. Die von The Nrb Bus, Black Rhino VR und INVR.SPACE produzierte Serie startet mit 5 Folgen in die erste Staffel, angekündigt ist schon eine zweite Staffel, in welcher wir einen weiteren urbanen Hotspot Afrikas erkunden können!

    Ein Film-Still der Dokumentation African Space Makers. Der Hintergrund ist eine Illustration 
verschiedener Gendersymbole in Weiß auf schwarzem Hintergrund.  Unten in der Mitte sind zwei mittels Greenscreen eingefügte Personen, von denen eine eher weiblich gelesen ist, die andere eher männlich.   Sie stehen vor jeweils einem Pfeil im illustratorischen Stil, der in ihre Richtung zeigt.

    Foto von AFRICAN SPACE MAKERS auf africanspacemakers.space

    Reworlding

    Der Serpentine Podcast “reworlding” erforscht Praktiken der Imagination, die durch aufstrebende Technologien in unserer Realität auf neue und zugängliche Weise Gestalt annehmen. In fünf Episoden werden verschiedene Künstler*innen, Designer*innen, Autor*innen und Menschen, die unsere Wahrnehmung der Realität neu gestalten wollen, eingeladen, um über ihre eigenen Visionen und Projekte zu sprechen und die Vorstellungskraft der Zuhörenden anzuregen und herauszufordern.

    Open Knowledge Foundation

    Für unser erstes Konnektiv_Impuls Interview hatten wir passend zu unserem Open Source-Schwerpunkt der Ausgabe die Ehre, mit Renata Ávila zu sprechen. Neben zahlreichen Engagements rund um das Themenfeld Technologie und Gesellschaft ist die Menschenrechtsanwältin seit 2021 Geschäftsführerin der Open Knowledge Foundation.

    Die internationale gemeinnützige Organisation, setzt sich für Offenheit, Transparenz und das Teilen von Daten und Informationen ein. Ihre Mission ist es, durch Veranstaltungen, die Entwicklung von Tools und Standards sowie die Unterstützung von Projekten und Gemeinschaften auf eine offene Zukunft hinzuarbeiten, in der der Zugang zu Wissen für alle gewährleistet ist.

    Die Förderung der digitalen Mündigkeit und des ethischen Umgangs mit Technologien gehört ebenfalls zu den Zielen der Organisation.

    Weitere Informationen zum Thema Open Knowledge und Data finden Sie auf der Website.

    Renata Ávila Pinto

    Foto von Renata Ávila Pinto, Expertin für globale Digitalpolitik, Geschäftsführerin der Open Knowledge Foundation und Interviewpartnerin im ersten Konnektiv Gast-Impuls.

    Digital Civil Society – Access OpenTech

    Schon unseren Artikel zum Thema FOSS (Free Open Source Software) gelesen? Dieser erschien letzten Monat im Rahmen einer spannenden Veröffentlichung des Instituts für Auslandsbeziehungen, die sich mit verschiedenen Aspekten von FOSS beschäftigt.

    In essayistischen Beiträgen und Interviews beleuchtet die Publikation, wie offene Software zu einer digital souveränen Zivilgesellschaft beiträgt, welche Freiheiten dadurch ermöglicht werden und wie empowernd sich die Arbeit mit offener Software anfühlen kann. Es freut uns sehr, dass wir mit einem Artikel einen Teil zu der im Rahmen des crossculture-Programms entstandenen Publikation beitragen konnten.

    Falko One

    Das Werk „I’ve got the power” des südafrikanischen Street-Art-Künstlers Falko One ziert den Titel dieses ersten Kulturimpulses. Konnektiv hatte das Glück, das Bild im letzten Jahr für unser Büro erwerben zu können und damit RLABS zu unterstützen.

    Falko One schuf sein erstes Graffiti 1988 und war in seinen Anfängen stark von der Hip-Hop-Kultur beeinflusst. Seitdem hat er sich mit seiner Kunst einen Namen als einer der wichtigsten Street-Art-Künstler der Welt gemacht. Falko One legt besonderen Wert darauf, seine Kunst nicht intrusiv zu gestalten, sondern in Einklang mit der lokalen Umgebung und Gesellschaft zu bringen und so Kunstwerke zu schaffen, die mit Wänden und Gebäuden zu verschmelzen scheinen.

    Der Künstler ist temporärer Aussteller in der RLABS-Galerie. RLABS ist eine gemeinnützige Organisation mit Sitz in Kapstadt, die sich für den Aufbau und die Stärkung lokaler Gemeinschaften einsetzt. Durch Beratung, Bildungsangebote, Workshops und Veranstaltungen im eigenen Innovation Lab fördert RLABS Innovation und starke lokale Netzwerke.

    Foto “I’ve got the power” von Falko One (@falko_fantastic) auf Instagram

  • Warum ich Free & Open Source Software nutze

    Foto von Efe Kurnaz auf Unsplash

    Warum ich Free & Open Source Software nutze

    Wie ich FOSS entdeckte

    Sie sollte die sicherste Firewall der Welt sein. Es war mein erster Kontakt mit Free and Open Source Software (FOSS). Mein Mitbewohner war begeistert, als er die Software zusammenstellte, die “kompiliert” werden musste. Mit einer anderen Software namens “Compiler”. All das lief auf einem veralteten PC ohne Windows. Ohne Windows? War das möglich? “Linux” nannte er es und seine Augen funkelten vor Freude. “Schau”, sagte er, “so richtet man den Kernel ein. Ist das nicht faszinierend? Du kannst das selbst machen!” Und auf diese Weise zeigte er mir völlig neue Welten. Seltsame Begriffe wurden immer vertrauter und ich lernte wie Computer funktionieren. Und ich kann sie verstehen! Ich kann sie sogar verändern! Das war FOSS.

    Die Firewall erwies sich tatsächlich als sehr sicher: Niemandem wurde Zugang zur anderen Seite gewährt, da sie alles blockierte. Es hat einige Nächte gedauert, um diese selbst erstellte Software und Konfiguration zu meistern. Am Ende waren alle anderen Mitbewohner*innen wütend. “Du hast es kaputt gemacht. Jetzt reparier das Internet!” Und das taten wir dann auch.

    FOSS bedeutet Souveränität und Teilen

    Es ist nicht leicht das Internet zu reparieren, wenn man vor ein paar Tagen noch keine Ahnung hatte, was ein Netzwerkpaket ist oder ein Compiler ist. Aber der Punkt ist: Mit FOSS wurde mir die Möglichkeit gegeben genau das zu tun. Für mich geht es bei FOSS nicht um Software, für die man nicht bezahlen muss. Es geht um Souveränität. Zugang zu Technologie zu erhalten und sie sich zu eigen zu machen. Windows aufzugeben und zu Ubuntu und anderer Open-Source-Software zu wechseln, hat sich empowernd angefühlt. Die Macht von FOSS – eine Lektion, die ich auch von der “sichersten Firewall der Welt” gelernt habe – kommt vom Teilen. Sein Wissen zu teilen und andere in seine Arbeit schauen zu lassen, bedeutet im Grunde genommen Macht zu teilen. Ich denke, das ist grundlegend für FOSS: Sie müssen bereit sein, Wissen und Macht, die Ihnen gegeben wurden, zu teilen.

    Es begann mit einer nicht richtig funktionierenden Firewall. Aber es gab noch so viel mehr mit FOSS und der Open-Source-Community zu entdecken. Sehr viel mehr. Und ich freute mich darauf zu lernen. Eine hervorragende Voraussetzung für Open Source, auch wenn man sich beruflich mit Themen beschäftigt, die auf den ersten Blick weit weg von Computern und Technik zu sein scheinen.

    FOSS für die internationale Zusammenarbeit

    Mein Fach war Kulturwissenschaften, und mein beruflicher Einstieg war in der Entwicklungs-zusammenarbeit, wo es nicht hauptsächlich um Software ging. Für viele Menschen scheint es in der internationalen Zusammenarbeit immer noch um die “Entwicklung” anderer zu gehen.

    Dieser Begriff beinhaltet eindeutig Machtverhältnisse und erinnert uns zu Recht an koloniale Gewohnheiten, die wir sicher nicht mehr reproduzieren wollen. Aber trotzdem passiert das immer noch, und das wollten meine Kolleg*innen und ich ändern – mit FOSS. In der internationalen Zusammenarbeit bedeutet IT oft, dass ein westliches IT-Unternehmen seine Software verkauft und dann vor Ort in dessen Nutzung schult. Dieser Ansatz führt natürlich zu Abhängigkeiten und vergrößert das vorhandene Machtungleichgewicht.

    Wir schlugen daher vor, mit FOSS zu arbeiten und führten verschiedene regionale Projekte mit afrikanischen und asiatischen Partner*innen durch. Einige Aktivitäten umfassten die Übersetzung der Word-Alternative Open Office und Handbüchern ins Khmer, Schulungen zur Linux-Systemadministration oder die Verbesserung praktischer Programmierkenntnisse im Informatikstudium. Ziel war es nicht, die Abhängigkeitsstrukturen zu vertiefen, sondern Menschen in ihrer Souveränität zu unterstützen. Jede*r sollten Fähigkeiten entwickeln können, um selber zu programmieren oder Software an lokale Bedürfnisse anzupassen. In vielen afrikanischen Ländern ist z.B. Ubuntu ein sehr beliebtes Betriebssystem, das auf dem afrikanischen Kontinent entstanden ist und inzwischen weltweit eine aktive Community hat.

    Jede*r kann zu FOSS beitragen

    FOSS kultiviert eine bestimmte Mentalität: Man schreibt Software und teilt sie. Das spart nicht nur viel Arbeit, da man auf bereits Vorhandenes zurückgreifen kann und nicht bei Null anfangen muss. Wenn viele Leute mitarbeiten, kann auch bessere Software entwickelt werden. Auch die Form der Zusammenarbeit ist interessant: Jede*r kann FOSS nutzen, dazu beitragen, etwas verbessern oder nach eigenen Bedürfnissen erweitern.

    FOSS bedeutet Wissen teilen

    FOSS ist aber weit mehr als das Erstellen von Software unter bestimmten rechtlichen Einschränkungen. Bei der Erforschung dieser Art von Ermächtigung lernte ich nicht nur viel über andere, sondern auch über mich selbst, meine eigenen Möglichkeiten und über Machtverhältnisse im Allgemeinen. Immer noch auf der Suche nach dem Verständnis für das Innenleben dieser kryptischen Maschinen auf meinen Schreibtischen (und inzwischen überwiegend in meinen Taschen), beschloss ich, zusätzlich zu meinem Beruf Informatik zu studieren.

    Es war keine Überraschung für mich, dass die meisten Materialien während des Studiums auch Open Source waren, mehr noch, man könnte sagen, dass Bildung das natürliche Habitat von FOSS ist, da es Menschen durch das Teilen von Wissen bestärkt. Und wie Bildung kann auch FOSS nur entstehen und wachsen, wenn es Menschen gibt, die bereit sind, es in ihrem Leben zuzulassen. Ich denke, dass es kein Zufall ist, dass FOSS-Leute oft so aktiv in Netzwerken sind. Networking ist ein wesentlicher Bestandteil von FOSS, was ich auf vielen Open-Source-Konferenzen und ähnlichen Veranstaltungen erfahren konnte. FOSS hat mein Leben verändert. Und nicht nur meins: FOSS ist eigentlich überall angekommen.

    FOSS-Alternativen gibt es für alle Anwendungen

    Heute arbeite ich zum Beispiel viel mit WordPress, das als System für Blogs begann, aber heute das meistgenutzte Content Management System für Websites ist. Es verfügt über 60.000 kostenlose Erweiterungen (Plugins) von Autor*innen aus der ganzen Welt, mit denen man seine eigene Webanwendung erstellen kann. Wir verwenden es häufig zum Aufbau von Peer-Learning-Plattformen mit verschiedenen Tools für die Zusammenarbeit, von Messaging über Foren bis hin zu Videokonferenzen. Wenn wir eine Funktion benötigen, die noch fehlt, kann sie programmiert und im Anschluss allen zur Verfügung gestellt werden.

    Gibt es etwas, das weiter verbreitet ist als WordPress? Mein Smartphone wird von seinem ursprünglichen Betriebssystem nicht mehr unterstützt, läuft aber perfekt mit LineageOS, einem FOSS-System. Daher bin ich nicht gezwungen, mein Phone alle zwei Jahre zu wechseln, nur weil die installierte Software nicht mehr unterstützt wird, sondern kann es mit FOSS viele Jahre lang umweltfreundlich nutzen. Außerdem kann es mich nicht mehr Tag und Nacht orten. Das passiert, wenn man seine technologische Souveränität zurückgewinnt und wieder anfängt, selbst Entscheidungen zu treffen.

    Für fast alle Softwareanwendungen gibt es eine gute FOSS-Alternative. Diese sollten bevorzugt in Projekten der internationalen Zusammenarbeit berücksichtigt werden. Daher ist FOSS auch ein wichtiger Teil der Principles for Digital Development, welche die Wirkung, Effizienz und die Zusammenarbeit der globalen Entwicklungs-Community verbessern möchten. Die Initiative gibt Empfehlungen und Best Practices für die Umsetzung von offenen und partizipativen Ansätzen und empfiehlt explizit den Einsatz von FOSS.


    Der Artikel ist im Rahmen eines FOSS-Workshops mit dem CrossCulture Programme des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) entstanden und erschien dort in der Publikation Digital Civil Society. AccessOpenTech.

  • Videokonferenzen mit BigBlueButton

    Foto von Benyamin Bohlouli auf Unsplash

    Videokonferenzen mit BigBlueButton

    Mit diesem Artikel starten wir unsere Artikelreihe zu einzelnen Technologien unseres Open Source Stacks, die wir bei Konnektiv selbst einsetzen und / oder für unsere Kund*innen betreiben. Open Source ist einer der Kernwerte von Konnektiv. Wir sind Mitglied der Open Source Business Alliance und Unterzeichner der Principles for Digital Development.

    Wir fangen mit dem Tool an, das alle Mitarbeiter*innen von Konnektiv täglich bei ihrer Arbeit nutzen und mit dem auch unsere Partner*innen und Kund*innen oftmals als erstes in Berührung kommen, wenn sie mit uns Kontakt aufnehmen: das Videokonferenztool BigBlueButton (BBB). Anhand dieses Beispiels zeigen sich bereits die Stärken von Open Source Software. Wir sind durch die Nutzung völlig unabhängig von anderen Anbietern (anders als es bspw. bei Microsoft Teams, Google Hangouts oder Zoom, um nur einige direkte Konkurrenzprodukte zu nennen). Für uns als kleines Unternehmen ist diese digitale Souveränität wichtig, da wir gegenüber globalen Software-Unternehmen keinerlei Verhandlungsspielraum haben, was die Konditionen oder die konkreten Features der Produkte betrifft. Beim Einsatz von Open-Source-Tools können wir die Software selbst betreiben und uns fehlende Features einfach selbst programmieren oder programmieren lassen. Auch können wir uns aussuchen, ob wir die Software selbst betreiben oder von einem anderen Unternehmen betreiben lassen. Aber auch im letzteren Fall ist es dann bei Unzufriedenheit stets möglich, den Anbieter zu wechseln, was bei den proprietären Software-Produkten nicht möglich ist.

    BigBlueButton ist ein browser-basiertes Videokonferenztool, das durch einfache Benutzung bei gleichzeitig großer Funktionsfülle besticht. BigBlueButton wurde für den Bildungskontext konzipiert und hat daher besonders gute Kollaborationstools integriert, wie etwa ein gemeinsam von allen User*innen nutzbares Whiteboard oder gemeinsame Notizen.

    Wir betreiben bei Konnektiv sowohl unseren eigenen BigBlueButton-Server als auch mehrere BBB-Server für unsere Kundschaft. Dies hat den Vorteil, dass der jeweilige BBB-Server optimal auf die Bedürfnisse abgestimmt ist, bspw. mit gendergerechter deutscher Sprachversion oder firmeneigenen Konferenzeinwahlnummern.

    Eine der größten Stärken ist die Integrierbarkeit in viele andere Open-Source-Systeme. Für unsere Kund*innen betreiben wir ganz unterschiedliche Integrationen:

    • Peer-Learning-Plattformen (mit WordPress): Im KOPA-Projekt können Mitglieder der Plattform im internen Bereich Austausch- und Lerngruppen anlegen und dabei auswählen, dass die Gruppe auch einen Videokonferenzraum haben soll. Dieser wird in BigBlueButton realisiert. Gruppenmitglieder können so direkt einer Videokonferenz beitreten. Sie sind dann automatisch in BBB authentifiziert mit ihrem Namen aus der KOPA-Plattform. Die KOPA-Plattform selbst läuft auf Basis von WordPress, einem Open Source Content Management System.
      Diese Funktionalität haben wir ursprünglich für das SQ-Portal entwickelt. Hier erfolgte die BBB-Raumerstellung für jeden Kurs auch aus WordPress heraus, allerdings vollkommen automatisiert durch eine Schnittstelle zu einem externen Kursmanagementsystem.
    • E-Learning-Systeme (mit Moodle): Für das Projekt Culture Coaches haben wir eine Moodle-basierte Lernplattform entwickelt. Moodle ist ein Open Source Learning Management System. Die Lernräume von Culture Coaches-Kursen werden direkt über die Lernplattform angelegt.
    • Online-Konferenzsysteme (mit Venueless): Venueless ist eine quelloffene Plattform für Online-Konferenzen, die von unserem Partner rami.io entwickelt wird. In unserem Projekt Kommune 360° setzen wir Venueless für einzelne Veranstaltungen ein. Die Konferenzworkshops oder andere Austauschveranstaltungen finden dabei in den integrierten BBB-Räumen statt.
    • Verwaltung von Videokonferenzen (mit Greenlight): Das Standard-Tool zur Verwaltung von BBB-Räumen ist Greenlight, das auch bei Konnektiv selbst zum Einsatz kommt.
    • Cloudlösungen (mit Nextcloud): Bei Konnektiv betreiben wir unsere eigene Nextcloud als Dokumentenmanagementsystem. Nextcloud ist natürlich ebenfalls Open Source. Derzeit testen wir das BBB-Raummangement direkt aus Nextcloud heraus. Das Nextcloud-Setup bei Konnektiv stellen wir in einem der Folge-Artikel vor.

    Durch die Nutzung eines Open-Source-Tools für Videokonferenzen sind Sie zusätzlich vollkommen unabhängig vom Anbieter. Es gibt allein in Deutschland dutzende Anbieter, die BBB-Server als Dienstleistung betreiben. Dadurch können Sie selbst bestimmen wo die Server stehen, auf denen Ihre Videokonferenzen laufen. Und natürlich lässt sich BigBlueButton 100% DSGVO-konform betreiben – ohne dass Daten in jeglicher Form auf andere Server gelangen.

    Sprechen Sie uns an. Wir beraten Sie gerne, inwiefern BigBlueButton auch in Ihrem Kontext eine geeignete Lösung sein kann.

  • Change the buzzword and press reset

    Foto von Sam Moghadam Khamseh auf Unsplash

    Change the buzzword and press reset?

    Die Rolle der (deutschen) internationalen Zusammenarbeit im digitalen Zeitalter

    Die digitale Transformation verändert den Alltag der Menschen weltweit. Sie bietet neue Möglichkeiten, kann jedoch soziale Ungleichheiten auch weiter verschärfen. Dies ist längst kein Phänomen mehr, das sich ausschließlich anhand einer Nord-Süd Dichotomie abzeichnen lässt. Im Zuge der stets rasanter voranschreitenden digitalen Transformation haben sich jedoch in den vergangenen Jahren auch die Diskussionen zur Rolle von Technologien in der internationalen Zusammenarbeit und der Entwicklungszusammenarbeit, sowie zum richtigen Ansatz der Unterstützung von Programmen mit Digitalkomponenten, geradezu überschlagen. Dabei wird immer wieder suggeriert, dass die deutsche internationale Zusammenarbeit einen Einfluss darauf hat, wie Digitalisierung in ihren Partnerländern stattfindet.

    Seit den 1980ern stand dabei die Priorisierung einer technologischen Infrastrukturförderung einer auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung kultureller Kontexte und entsprechender Kommunikationsprozesse gegenüber. Die Notwendigkeit inklusiver, partizipativer Ansätze, wie beispielsweise prominent im Bereich der partizipativen Entwicklungskommunikation oder der deutschen Rolle in der Medienentwicklung, ist vor vielen Jahrzehnten bereits eingehend und kontrovers debattiert worden. Auch wenn die Technologien sich rasant verändert haben, so hat die deutsche Entwicklungszusammenarbeit also durchaus eine sehr lange Historie der kritischen Auseinandersetzung mit Kultur- versus Infrastruktur-getriebenen Ansätzen.

    Die Debatte um ‘neue Technologien’ im Zuge einer immer rasanter fortschreitenden Digitalisierung und Datafizierug sämtlicher Lebensbereiche ist als Kontinuum, nicht als radikal Neues zu betrachten und anzugehen, stattdessen erleben wir jedoch aktuell eine sich mit jeder neuen Technologie wiederholende Debatte, bei welcher sehr häufig die bereits gewonnenen Erkenntnisse aus dem Blickfeld geraten. Was bleibt ist ein repetitiver schmalspuriger Fokus, bei dem es sich immer wieder nur um die Technologie an sich dreht, sowie vielleicht noch um digitale Kluften durch ungleiche Verteilung und mangelnde Infrastruktur.

    Auch wenn die vergangenen Jahre zunehmende Aufmerksamkeit auf notwendige politische Rahmenbedingungen und die ethischen Fragestellungen gewisser technologischer Entwicklungen mit sich brachten, so bewegt sich die staatliche Entwicklungszusammenarbeit stets entlang alter Muster. Seit Jahren verfolgt die internationale Kooperationslandschaft eine mit jeder neuen Technologie aufkeimende Euphorie. Diese resultiert in der Regel in neuen Konzepten. Ob Mobile4Good, Tech4Change, ICT4Development oder BlockChange – unter dem Strich haben wir immer wieder eine vorherrschend Prototyp getriebene Politik beobachten können. Während ethische und politische Rahmensetzungen zwar auch zunehmend Aufmerksamkeit finden, werden diese nicht ausreichend strukturell zusammen gedacht. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die deutsche internationale Digitalpolitik kritisch in Bezug auf das Phänomen ‘Change the buzzword and press reset’ hin zu untersuchen und zu hinterfragen, welche Rolle die deutsche internationale Zusammenarbeit im Rahmen der globalen Digitalisierung spielen kann und sollte.

    Politische Kontexte und Handlungsrahmen für die internationale, digitale Zusammenarbeit

    Digitale Entwicklungszusammenarbeit findet immer in politischen Kontexten statt, die sowohl die nationalen als auch die internationalen geopolitischen Rahmenbedingungen beinhalten.

    Auf globaler Ebene existiert ein Wettlauf um digitale Vorherrschaft. Dies betrifft die Infrastrukturebene, die Datensammlung, Anwendungen (inkl. KI) und auch Betriebssysteme. In Europa wird dieser jedoch kaum beachtet. Die digitalen Expansionspläne im Rahmen der „One Belt, One Road Initiative“ Chinas oder die afrikanischen KI-Datenzentren der Big Tech Unternehmen, sowie die Abhängigkeit von (US-) Märkten insbesondere der Gig-Ökonomie aber auch bezüglich der Applikationen für kritische Infrastruktur, wie beispielsweise Krankenhäuser, sind in Europa nur selten im Fokus medialer Aufmerksamkeit oder Gegenstand politischer Debatten.

    Google CEO Sundar Pichai gab beispielsweise 2022 bekannt, dass der Tech-Gigant in den nächsten fünf Jahren eine Milliarde US-Dollar in technologieorientierte Initiativen in Afrika investieren will. Diese Initiativen reichen von verbesserter Konnektivität über Googles Unterwasserkabel „Equiano“ bis hin zu Investitionen in kleine Unternehmen und Start-ups. Dazu gehört der „Africa Investment Fund“, mit welchem das Unternehmen bis zu 50 Millionen Dollar in afrikanische Start-ups in der Früh- und Wachstumsphase investieren will.

    2018 unterzeichnete die Regierung Simbabwes eine Kooperationsvereinbarung mit dem chinesischen Start-up „CloudWalk Technology“, die es dem Unternehmen ermöglicht, eine Datenbank mit den Gesichtern simbabwischer Bürgerinnen und Bürger zu exportieren, die in China verarbeitet werden soll. Für „CloudWalk“ ist dies eine Gelegenheit, seine Algorithmen zu verbessern, die bisher nur mit chinesischen Gesichtern gefüttert wurden. Angeblich hat die simbabwische Regierung zugestimmt, weil sie mithilfe der Gesichtserkennungsdienste die öffentliche Sicherheit verbessern wollte. Menschenrechtsaktivist*innen befürchten jedoch, dass die Regierung dieses System nutzen wird, um ihre Bürger*innen zu überwachen. Simbabwe hat keinen Plan zum Schutz persönlicher Daten vorgelegt.

    Während die USA und China sich in diesem Wettlauf um digitale Vorherrschaft von der Infrastrukturebene zur Daten- und KI-Ebene befinden, versucht die EU einen alternativen, demokratie-orientierten Ansatz der digitalen Souveränität zu entwickeln. Durch Regulierungen wie z.B. der Digital Markets Act (DMA), der Digital Services Act (DSA) und der KI Verordnung wird dieser Ansatz umgesetzt. In der EU und auf deutscher Ebene ist die digitale Souveränität ein Konzept, das in Anbetracht der wachsenden Abhängigkeiten zwischen den beiden digitalen Großmächten an Bedeutung gewinnt. Es ist ein Konzept, das von der persönlichen zur gesellschaftlichen Ebene angewendet werden kann und unterschiedliche Aspekte beinhaltet – die Kontrolle über die eigenen Daten, die Kontrolle über Infrastrukturen, aber auch die digitale Mündigkeit durch Bildung. Digitale Souveränität schließt die Idee des Internationalismus nicht aus. Im Gegenteil, es meint, dass wir alle verbunden sind und keine Abhängigkeits- und Unterdrückungsbeziehungen wollen. Der neue deutsche Ampel-Koalitionsvertrag ruft zur Stärkung der „digitalen Souveränität“ in Europa und in unseren Partnerländern auf. (Koalitionsvertrag 202,1 Zeilen 4880 – 4887)

    Doch was genau beinhaltet das Konzept der digitalen Souveränität und was ist dessen Bedeutung für die zukünftige Ausrichtung digitaler internationaler Zusammenarbeit? Wie kann die deutsche Digitalpolitik zu pluralistischen digitalen Ökosystemen bei uns und in Partnerländern beitragen? Wie kann eine strukturelle Zusammenarbeit aussehen, die zur positiven Entwicklung von globalen digitalen Handel, Kommunikation und gemeinwohlorientierter Technologieentwicklung beiträgt?

    Es gibt viele Bereiche, in denen sich die internationale Zusammenarbeit engagieren kann, um diese Ziele zu verfolgen. Und es gibt viele Instrumente, die es zu überholen gilt, von den Handlungsfeldern, hin zu den Kollaborationsformen. Es stellt sich zum Beispiel die Frage ob in Zukunft weiter durch Acceleratoren und Wettbewerbe einzelne Start-ups gefördert werden sollten, die von Tech-Giganten aufgekauft werden oder ob man eher auf den Aufbau resilienter, digitaler Strukturen setzt, zum Beispiel durch die kollaborative Entwicklung von Policy-Frameworks, Infrastrukturen und Datenräumen sowie durch offene Wissensressourcen.

    Neue Handlungsfelder

    Es existieren eine Reihe von wesentlichen Handlungsfeldern für eine Rekalibrierung der internationalen Zusammenarbeit

    Standards und Policies: Wie schon so häufig in der Geschichte der Entwicklungszusammenarbeit zeigt sich auch in der Gegenwart der digitalen Transformation, dass Infrastrukturförderung und die Förderung der Privatwirtschaft niemals disproportional zu einer Policy- und zugrundeliegenden Ethikdebatte und entsprechender programmatischer Ausrichtungen geführt werden sollten. Die Entwicklung von beispielsweise Daten- oder KI-Prüfstandards, sowie die Förderung von Interoperabilität, gewinnt zunehmend an Bedeutung für freie digitale Gesellschaften. Diese Themen werden auch für die Entwicklungszusammenarbeit zunehmend relevant, besonders im Sinne der Förderung digitaler Souveränität. Deutschland kann eine entscheidende Rolle bei der Schaffung von Zugängen zu Standardisierungsgremien spielen und sich in diesen Gremien für plurale Entscheidungsverhältnisse einsetzen. Dazu gehört die Förderung der Teilnahme von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Aktivist*innen an Multi-Stakeholder Prozessen. Des Weiteren sollte ein Austausch zu den in der EU entwickelten Ansätzen und Policy-Frameworks unterstützt werden. Deutschland könnte zur Einführung von Maßnahmen zur Compliance mit Richtlinien der EU wie der DGSVO beitragen und zur Entwicklung relevanter Policy-Frameworks beraten. Dies wird insbesondere mit Hinblick auf Themen wie Plattform- und KI-Regulierung ein zunehmend wichtiges Thema.

    Kreuzung mit regem Verkehr

    Foto von Opeyemi Adisa auf Unsplash

    Infrastruktur und Daten: Infrastruktur schafft Abhängigkeiten mit weitreichenden wirtschaftlichen und auch politischen Folgen. Daher stellt sich die Frage, wie in diesem Zusammenhang ein ‘lokaler Ansatz’ aussehen kann und welche Rolle Entwicklungszusammenarbeit im Kontrast zu anderen Großprojekten spielt? Deutschland sollte seine Partnerländer als Verbündete und nicht als Markt sehen. Insgesamt sollten im Digitalen nicht dieselben ausbeuterischen Strukturen aufgebaut werden wie in der analogen Welt. Partnerländer sind nicht als Datenquellen zu betrachten. Vielmehr gilt es unabhängige Dateninfrastrukturen, wie Datenzentren, Datenbanken, etc. und inklusive Datenerhebungen zu fördern, um weitere Kluften innerhalb von Ländern und Regionen zu vermeiden. Hierzu sollten kooperative Strukturen entwickelt werden. Sogenannte Data Spaces könnten genutzt werden, um gemeinsame Ressourcen für gemeinwohlorientierte Innovationsförderung zu schaffen. Projekte wie die Cloud-Initiative Gaia-X sollten weitergedacht werden und Anknüpfungspunkte bieten, um andere einzubinden.

    Gaia-X ist eine europäische Cloud-Initiative, die eine digitale souveräne Cloud-Infrastruktur auf der Wertebasis von Datensouveränität, Datenschutz und Transparenz anstrebt. In diesem Rahmen sollte der Fokus schon von Beginn an stark auf unseren internationalen Partnern liegen, um diese bei Bedarf bei der Entwicklung einer souveränen Infrastruktur zu unterstützen und die Zusammenarbeit mit anderen internationalen Cloud-Initiativen zu fördern. Bisher sind jedoch keine konkreten Maßnahmen bekannt, wie Ressourcen (Know-how und finanzielle Mittel) bereitgestellt werden können, um den Aufbau einer Cloud-Infrastruktur nach Vorbild von Gaia-X in Ländern ohne ausgereifte digitale Infrastruktur zu unterstützen.

    Es bedarf weiterer Überlegungen und Maßnahmen, um die internationale Zusammenarbeit im Bereich digitaler Infrastruktur zu fördern und insbesondere Entwicklungsländern den Zugang zu dieser Technologie zu erleichtern. Anstatt sich nur auf die Förderung einzelner Akteure zu fokussieren, sollte ein/der systemischer Kapazitätsaufbau gefördert werden.

    Offene Ressourcen: Entwicklungszusammenarbeit sollte sich an der Förderung von “Digital Public Goods” oder gemeinwohlorientierter Digitalisierung beteiligen. Zum Beispiel könnte ein “Prototype Fund” Spin-off sowie ein “Open Technology Fund“ (OTF) Europe eingerichtet werden, die internationale Teams und Entwicklungen fördern. Des Weiteren könnte eine Förderung mit neuen Beteiligten wie der „Open Infrastructure Alliance“ durchgeführt werden. Die Idee von „Digital Public Goods“ ist auch recht prominent in der Roadmap des UN-Generalsekretärs und in der vorhergehenden Diskussion vertreten. In diesem Kontext wurde auch diskutiert, wie Strukturen gefördert werden können, die die langfristige Wertschöpfung vor Ort sichern – sowohl in Bezug auf Abhängigkeiten von kommerziellen internationalen Plattformen als auch auf die lokalen Innovationen auf Basis offener Ressourcen. Es gibt eine Vielzahl von Ressourcen, Plattformen und Initiativen zur Bereitstellung von offenen, entwicklungsrelevanten Wissensressourcen, wie z.B. Apropedia und das Open Source Ecology Collective.Anstelle von Acceleratoren und Wettbewerben sollten Ressourcen wie diese in ihrer Skalierung, Anwendung und Ausbau gefördert sowie offene Bildungsangebote etabliert werden, wie beispielsweise durch “Open Educational Ressources“. Das setzen auf offene Ressourcen ist auch im Kontext der Verbindung von digitaler und grüner Transformation als politisches Leitbild zu sehen.

    Neue Akteur*innen und Kollaborationsformen

    Die digitale Transformation verändert die Akteurslandschaft. Neue Akteur*innen, neue Intermediäre, die digitale Zivilgesellschaft und Netzwerkorganisationen verlangen es, Empfänger- und Förderinstrumente neu zu gestalten.

    Die ´schlechte Nachricht´ – die digitale Transformation in heutiger Geschwindigkeit, und die damit einhergehende Quantifizierung der Gesellschaften geschieht oft so rasant, dass sie beispielsweise zivilgesellschaftliche Akteur*innen, die sich für Schutz von vulnerable Gesellschaftsgruppen engagieren, in eine konstant reaktionäre Situation bringen. Da Strukturen der staatlichen Zusammenarbeit eher rigide sind, gibt es auch auf dieser Ebene kaum Unterstützungs-Mechanismen. So kann auf diese rasanten Entwicklungen, und einhergehenden sowohl die oft unvorhergesehen Risikosituationen als auch die Opportunitäten, kaum eingegangen werden.

    Die ´guten Nachrichten´ – Es zeigt sich, dass zivilgesellschaftliche Gruppen schnelle Reaktionsmechanismen für, mit der digitalen Transformation einhergehende, Herausforderungen entwickeln und sich interdisziplinär vernetzen. Es entstehen eine Vielzahl von neuen Akteur*innen, neuen Akteursgruppen und neuen Kollaborationsmodellen von denen es viel zu lernen gibt. Wo Einschränkungen ziviler Rechte und Freiheiten auf dem Spiel stehen, hat es sich gezeigt, dass zivilgesellschaftliche Akteur*innen rasant Reaktionsmechanismen aufbringen und sich entsprechend horizontal vernetzen. Dies zeigt sich sowohl in der Reaktion auf politische Beschränkungen und Risiken als auch in der Reaktion auf fehlende Angebote und Infrastrukturen – beispielsweise nehmen Makerspaces die Rolle von Universitäten ein, wo keine notwendige Infrastruktur besteht. Entwicklungszusammenarbeit findet heute meist zwischen Regierungsinstitutionen und im Rahmen von Kooperationen mit großen Firmen und anderen etablierten großen Organisationen statt. Innovation hingegen nicht. Sie entsteht in Hubs, Makerspaces, Startups, Graswurzelorganisationen und anderen lokalen Initiativen, die von der Zivilgesellschaft betriebenen werden. In vielen Ländern entstehen so innovative Lösungen für soziale und ökonomische Bedarfe, von der Herstellung von Lehrmitteln bis hin zur Lieferung von Blutkonserven, die oftmals fehlende öffentliche Versorgung und Infrastruktur kompensieren. Dies sollte als Aufforderung gesehen werden, sich als Handelnde der Entwicklungszusammenarbeit kritisch mit dem eigenen Einflussrahmen auseinanderzusetzen und über neue primäre Kollaborationspartner*innen nachzudenken.

    eine Zange, eine Kiste mit Chip-Elementen und einen selbstgebauten Protoypen. Im Hintergrund ist ein Laptop zu sehen.

    Foto Makerspace von Clint Patterson auf Unsplash

    Wie kann also die zukünftige Kooperation zwischen nicht-staatlichen Akteur*innen, die die digitale Innovation und Entwicklung voranbringen, sowie Regierungen und Organisationen der internationalen Zusammenarbeit aussehen?

    Die deutsche staatlich-organisierte internationale Zusammenarbeit kann noch stärker auf die Förderung lokaler Initiativen und Zusammenarbeit mit lokalen Akteur*innen setzen und so für mehr Chancengleichheit sorgen, als es bisher der Fall ist. Brücken zwischen großen staatlichen Digitalisierungsprojekten und den Grassroot-Innovations-Communities können durch neue, offenere Formen der Zusammenarbeit gebaut werden. Initiativen wie i4Policy haben hierfür Methoden entwickelt, die in unterschiedlichen Kontexten angewendet werden können. Durch Multistakeholder-Ansätze kann besser auf die Expertise von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen zugegriffen werden, während diese von staatlicher Anerkennung, Unterstützung und Einblick in Verfahren und Prozesse profitieren können. In Zukunft sollten die Handelnden staatlicher Entwicklungszusammenarbeit die Arbeit in Netzwerken sowie die Förderung von Netzwerkarbeit und Strukturen stärker unterstützen. Netzwerke und Multiakteurspartnerschaften können dabei helfen, unterschiedlich innovativ und agil arbeitende Akteur*innen zusammenzubringen, wie zum Beispiel im Rahmen der FabCities Initiative. Die Kooperation zwischen staatlichen Skalierungseinheiten und globalen Netzwerkakteuren kann in Zukunft ein wichtiges Instrument zur Skalierung von Lösungen sein und eine Alternative zur pilotprojekt-gesteuerten Förderlogik darstellen. Auch die Einrichtung flexibler, offener Funds nach Vorbild des OTF oder des Prototype Funds können wichtige Instrumente sein, um Kooperation mit innovativeren, gemeinwohlorientierten Akteur*innen zu ermöglichen und erfolgreich auszugestalten.

    Der Kollaborationsgedanke kann noch weitergeführt werden. Seit über einem Jahrzehnt existiert die bislang weitestgehend nicht umgesetzte Idee, Digitalisierung als Tool zur Umsetzung lang existierender Ansprüche partizipativer Entwicklung neu zu denken und konsequenter umzusetzen. Denn wie in anderen Arbeitsbereichen könnte Digitalisierung genutzt werden um Projektantragsverfahren und Zyklen mit agilen Arbeitskulturen neu zu strukturieren. Vor allem kann man digitale Technologien nutzen, um mit lokalen Partnern auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten. Hierzu gehört das Arbeiten mit offenen Daten- und Datenstandards und mit offenen Lizenzen, und Prozessen ebenso wie eine transparente, direkte Kommunikation mit verschiedenen Organisationen, Interessengruppen und Bürger*innen. Digitale Medien können genutzt werden, um direkte Feedbackschleifen zu bilden und Monitoring und Evaluation neu zu denken, beispielsweise durch partizipative Evaluierungsansätze, wie sie im Citizen Science und Citizen Social Science Bereich bereits bestehen und angewandt werden. Dieses Potenzial sollte endlich genutzt werden, um alte, intransparente zugunsten neuer, partizipativer und transparenter Strukturen zu ersetzen. Vielleicht ist es in dieser Legislaturperiode möglich, einen Teil dieser Ideen zu verwirklichen, statt wieder nach dem nächsten Buzzword den Reset-Knopf zu drücken.