Deutschlands feministische Digitalpolitik und der Zukunftsgipfel der Vereinten Nationen
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Kersti Wissenbach, Geraldine de Bastion
#GlobalDigitalCompact #FeministInternet #feministischeEntwicklungspolitik
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Mit der Feminismusflagge auf den Zukunftsgipfel oder Stillstand der Gipfelstürmer?
Es ist ein knappes halbes Jahr vergangen, seitdem Svenja Schulze den Aufbruch in eine feministische Entwicklungspolitik verkündet und die dazugehörige Strategie veröffentlicht hat. Ein feministischer Ansatz in der internationalen Digitalpolitik wird dringend gebraucht. In vielen Ländern nehmen die Beschränkungen digitaler Freiheiten und die digitale Gewalt gegenüber Frauen und feministischen Organisationen zu (UN Women). Die jüngsten Entwicklungen in der digitalen Medienlandschaft scheinen geradezu aus einem Playbook für toxische Maskulinität kopiert worden zu sein. Von der Bildsprache bis zu den Machtstrukturen: Twitter fiel einem großen, schwarzen X zum Opfer, während Mark Zuckerberg und Elon Musk öffentlich ihren Käfigkampf planen. Ein feministisches Internet – davon scheinen wir heute weiter entfernt als jemals zuvor in der Geschichte der Digitalisierung.
Auch wenn der Einfluss der digitalen internationalen Kooperation begrenzt ist, könnte sie zumindest einen Beitrag leisten, Raum für kritischen Austausch zu bestehenden Machtstrukturen und Raum für neue Entwicklungen zu schaffen. Sechs Monate sind zu kurz, um grundlegende Machtstrukturen zu verändern und viele der systemischen Ansprüche der Strategie umzusetzen. Wir stellen die Frage, ob die Strategie zur feministischen Entwicklungspolitik den entsprechenden Rahmen bietet, der digitalen Entwicklungspolitik einen feministischen Fokus zu geben und wie eine Umsetzung aussehen könnte.
Nachhaltige digitale Transformationspolitik geht nicht mit Schmalspur-Feminismus
In der im März 2023 veröffentlichten Strategie zur feministischen Entwicklungspolitik heißt es in Bezug auf Digitalisierung:
„Das BMZ setzt sich für eine geschlechtergerechte digitale Transformation sowie die Schließung der digitalen Geschlechterkluft ein, um die digitale Teilhabe aller Menschen sicherzustellen. Hierzu werden Frauen und Mädchen digitale Angebote und Dienstleistungen in den Bereichen Bildung, Beschäftigung, Unternehmertum und Gesundheit zugänglich gemacht.“
Dieser Anspruch greift zu kurz. Eine geschlechtergerechte digitale Transformation sollte allen Geschlechtern die gleichberechtigte, aktive und gestalterische Teilhabe gewährleisten. Des Weiteren sollte sie gleichberechtigten Zugang zu Macht- und Wirtschaftsstrukturen ermöglichen, hin zu der Möglichkeit, digitale Medien, Dienstleistungen, Angebote und Produkte zu entwickeln bzw. sie ihren Bedürfnissen anzupassen.
Die Feminist Tech Principles des feminstischen Zukunftslabors Superrr bringen es auf den Punkt: Digitalisierung sollte „darauf abzielen, Grundrechte zu wahren und soziale Ungerechtigkeiten abzubauen“. Denn die “Art und Weise der Digitalisierung bestimmt […] maßgeblich mit über soziale Teilhabe, Zugang zu Wissen und Bildung sowie Gerechtigkeit“. Dementsprechend sollte sich die Entwicklungszusammenarbeit dafür einsetzen, dass die Art und Weise, wie Digitalisierung Einfluss auf unser Leben nimmt, gleichberechtigt [mit]gestaltet werden kann. Eine fundamentale Voraussetzung für eine feministische EZ- und Digitalpolitik ist es somit zu verstehen, dass Feminismus auf einer Ebene jenseits des Fokus auf spezifische Zielgruppen ansetzt. Denn Feminismus ist eine systemische Ausrichtung, welche sich durch alle Handlungsstrukturen Deutschlands internationaler Politik ziehen muss, um zu einer konsequenten Umsetzung zu gelangen. Die Strategie zur feministischen Politik des BMZ bietet hierfür noch keinen konkreten Rahmen, was die Digitalisierung angeht, während die Digitalisierungsstrategie des BMZ stark tech-positiv geprägt ist.
Was wir in der Praxis beobachten
Der Strategie des BMZ liegt sehr wohl ein menschenrechtsbasierter und auch intersektionaler Ansatz zugrunde (p. 5, 8). Schaut man sich diese jedoch genauer an, stellt sich die Frage, wie die Umsetzung einer Strategie in der Praxis aussehen soll, welche auf eine konventionelle Genderpolitik ausgerichtet ist. Es ist anzunehmen, dass dies auf strukturelle Gegebenheiten innerhalb des deutschen EZ-Systems zurückzuführen ist. Das BMZ, und somit die Arbeit der GIZ, sind im Rahmen der ODA an entsprechend gender-basierte Indikatoren gebunden und interne Strukturen sind seit Jahren entsprechend angelegt. Hieran wird die systemische Komplexität deutlich. Ein feministischer Ansatz befasst sich jedoch mit der Analyse von Machtverhältnissen in Gesellschaften und evaluiert, inwieweit geplante Vorhaben sich auf Machtverteilungsfragen auswirken. Zu seinen analytischen Kategorien gehören statt vereinfachter Identitätsgruppen vor allem Intersektionalitäten. Die Verwebungen sozialer Kategorien wie z.B. Einkommen, Geschlecht, Religion und Alter, in der proaktive und reaktive Machtdynamiken gleichermaßen Beachtung finden.
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Diese Nichtübereinstimmung von Strukturen und normativen Rahmen lassen sich nicht von heute auf morgen anpassen. Hierfür konkrete und allgemeingültige Umsetzungsvorgaben für neue Vorhaben zu gestalten ist eine komplexe Aufgabe. Um eine feministische Digitalpolitik in der Entwicklungszusammenarbeit konsequent zu gestalten und umzusetzen, ist eine Fokussierung auf Geschlechtergerechtigkeit und eine narrative Ausweitung auf marginalisierte Gruppen jedoch nicht ausreichend. Genauso wenig ist die Fokussierung auf Infrastruktur- und Tech Capacity Ausbau der BMZ Digitalstrategie eine Lösung, sofern oben ausdifferenzierte Machtstrukturen nicht strukturell mitgedacht werden. Diese engen Ausrichtungen laufen Gefahr, die Genderkomponente von anderen Machtstrukturen abzukoppeln, anstelle diese in den notwendigen Gesamtzusammenhang zu rücken.
Rechte, Ressourcen und Repräsentanz
Um Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und die Sicherheit aller Menschen in den Mittelpunkt der deutschen EZ zu stellen, muss die Multidimensionalität von Diskriminierung und die Komplexität von Machtstrukturen ganzheitlich behandelt werden. Natürlich können entwicklungspolitische Digitalvorhaben Mark Zuckerberg oder Elon Musk keine Konkurrenz machen, aber sie können einen Beitrag leisten um die Machtdynamiken entlang der drei im Fokus der EZ-Strategie stehenden Bereiche – der 3 R- Rechte, Ressourcen und Repräsentanz zu kalibrieren. Ansätze rund um offene Technologien, offene Innovationsprozesse und offene Zugangs- und Lizenzkonzepte können zu gleichberechtigten Strukturen beitragen.
Rechte: Selbstverständlich spielen Freiheitsrechte wie das Recht auf Sicherheit, Privatheit und Meinungsfreiheit eine Schlüsselrolle im Kontext eines feministischen Internets. Diese Rechte müssen auch durch die Schaffung entsprechender Policyrahmen auf nationalen Ebenen gefördert werden. Um Verbraucher*innen-Rechte gegenüber Technikherstellern und -Verkäufern zu gewährleisten spielen aber auch offene Hardware und das Recht auf Reparatur sowie Kompatibilität eine wichtige Rolle. Des Weiteren ist es im Sinne der Nachhaltigkeit wichtig, Narrative rund um Maintenance, Care und Repair gegenüber Narrativen von Innovation, Acceleration und Wachstum zu setzen.
Ressourcen: Der Zugang zu Wissen und digitalen Ressourcen kann zum Abbau von Machtasymmetrien beitragen. Hierbei spielen heutzutage vor allem Fragen rund um Datenautonomie eine entscheidende Rolle. Ebenso die Frage nach dem Zugang zu offenen Daten und dazu, wer wie in welchen Daten repräsentiert ist. Auch ethische Ansätze zum Private Public Data Sharing und der transparenten Anwendung von KI. Darüber hinaus spielt der Zugang zu Wissensressourcen, von offenen Bauplänen für Maschinen, über digitalisierte historische Archive, bis zu freien Lernmaterialien für den Schulunterricht und in diesem Kontext die Nutzung freier Lizenzen eine Schlüsselrolle zur feministischen, internationalen Digitalpolitik.
Repräsentanz: Weltweit machen uns lokale zivilgesellschaftliche Gruppen vor, wie kontext-getriebene und lokal verankerte Transformation aussehen kann, wie auf lokaler Ebene digitale und andere Innovationen entwickelt werden und unmittelbare Transformationsprozesse anstossen. Ein feministischer EZ-Ansatz wäre prädestiniert dafür eben diese sich wandelnde Akteurslandschaft aufzufangen und in einer EZ und angekoppelten Digitalpolitik zu reflektieren, welche diese Seite der digitalen Transformation als sich verschiebende Machtpositionen annimmt und entsprechende Konsequenzen für ihre Politikgestaltung daraus zieht. Die deutsche EZ kann Deutschland, seine eigene Zivilgesellschaft und andere Länder dabei unterstützen, an wichtigen politischen Prozessen teilzuhaben und nicht nur der Wirtschaft Zugang zu politischen Entscheidungsträgern im Digitalbereich zu überlassen.
Wie eingangs erwähnt, kann Deutschland in der internationalen Kooperationslandschaft mit ihrer neuen Ausrichtung sehr wohl wegweisende Impulse setzen, um bestehende und sich vertiefende Machtstrukturen gezielt, artikuliert und ganzheitlich anzugehen. Ob die deutsche EZ es schaffen wird, ihre Agenda hierzu über den schmalspurigen Gender Fokus hinaus zu gestalten, wird sich zeigen. Ein entscheidender Moment steht jedoch bereits vor der Tür.
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Feministische Digitalpolitik auf dem Zukunftsgipfel? Was Deutschland sich dafür auf die Flagge schreiben muss
Knapp 20 Jahre nach dem Weltgipfel der Informationsgesellschaft in Tunis findet im September 2024 der UN Summit of the Future statt, mit dem Ziel, die globale Governance zum Wohle der heutigen und künftigen Generationen zu stärken. Eine sozial-ökologische Gestaltung der Digitalen Transformation spielt eine entscheidende Rolle. Alle Mitgliedstaaten, so auch Deutschland, haben hier die Gelegenheit sich entsprechend einzubringen. Dies geschieht gegenwärtig beispielsweise im Rahmen von Multi-Stakeholder Aktivitäten zur Erarbeitung eines Global Digital Compacts, welcher auf dem Summit vorgestellt werden soll. Hierzu können feministische Ansätze einen wesentlichen Beitrag leisten und somit könnte die Neuausrichtung der deutschen Bundesregierung einen entscheidenden Beitrag in der globalen Arena leisten, nach Dekaden von leeren Begrifflichkeiten konkrete Aktionsrahmen aufzuzeigen und diesen zur Umsetzung zu verhelfen.
Deutschland kann dieses Momentum nutzen, um die historische Polarisierung zwischen Kultur- versus Infrastruktur Fokus zu überkommen. Eine konsequente Ausrichtung der globalen Agenda anhand von Machtkomplexen würde einen eingeschränkten Blickwinkel primär auf Infrastrukturausbau oder die Förderung spezifischer Gesellschaftsgruppen erst gar nicht zulassen. Ein entscheidender Schritt hierzu ist es, die Strategie zur Feministischen EZ und die Digitale Agenda zusammenzudenken und operational zusammenzubringen. Hierbei muss Transparenz darüber geschaffen werden, wie ein konsequent feministischer Ansatz sich auf die Programmgestaltung im Bereich der Digitalen Transformation auswirkt. Immerhin ist die deutsche EZ was ihre Arbeit, und somit Erfahrung, im Bereich der digitalen Transformation angeht vielen ihrer Europäischen Kolleg*innen weit voraus. So war die deutsche EZ lang vor ihrer neuen Digitalen Agenda im gesamten Entwicklungsprozess, von ganz frühen Entwicklungen in der Medienentwicklungszusammenarbeit, frühen ICT Development Dynamiken, bis heute stets sehr involviert. Dies sollte einen Lernprozess mit sich gebracht haben, welchen es gilt aufzuarbeiten und eine Vorreiterrolle einzunehmen, was Schritte weg von extrem techno-zentrischen Entwicklungsagenden angeht, damit auch andere Mitgliedsstaaten nahtlos an bereits gemachte Erfahrungen anknüpfen können. Hierzu müssen gemachte Erfahrungen, inklusive Failures und der darauf basierende Entwicklungsprozess in der Agendasetzung der deutschen EZ aktiv in unterschiedlichen Foren, wie beispielsweise dem Digital Global Compact, eingebracht werden, durch klare Positionierung und eine leitende Rolle. Wie wir bereits in unserer letzten Konnektiv_Impuls ausdifferenziert haben, ist digitale Innovation divers und findet zu großen Teilen in unseren Partnerländern statt, sofern man ein kontext-getriebenes Innovationsverständnis verankert. Die deutsche EZ fördert seit Jahren lokale Innovationsnetzwerke und kann ihre Erfahrung nutzen, sich für entsprechende Ansätze in der globalen Arena einzusetzen. Hierzu wird es aber auch entscheidend sein, selbst die nächsten Schritte zu gehen. Und diese müssen aus klassischen Hierarchien der Unterstützung und des Innovationstransfer-Verständnisses ausbrechen. Hierzu sollten neue Wege der Kollaboration umgesetzt werden, durch welche sukzessive andere Machtstrukturen etabliert werden, beispielsweise Süd-Nord Beratungen und die Schaffung von Arbeits-Tandems auf Augenhöhe – mit gleichen Rechten und zu gleichen Bedingungen.
Wie eingangs festgestellt, sind sechs Monate zu kurz, um grundlegende Machtstrukturen zu verändern und viele der systemischen Ansprüche der Strategie umzusetzen. Hier sprechen wir jedoch ausschließlich von einer neu formulierten Ausrichtung, nicht von einem unbeschriebenen Blatt. Es wird sich zeigen, inwiefern die deutsche EZ es schafft, auf bestehende Erfahrungen zu bauen und wichtige Hebelwirkungen in der Umstrukturierung von Machtstrukturen anzustoßen – hin zu einer tatsächlich feministischen Zukunft der Entwicklungskooperation.