Tag: Interview

  • Interview mit Miriam Seyffarth

    Portrait von Miriam Seyffarth

    Interview mit Miriam Seyffarth

    In dieser Ausgabe ist Miriam Seyffarth, Leiterin für Politische Kommunikation bei der Open Source Business Alliance, bei uns zum Thema Netzwerke zu Gast! Mit einem Hintergrund in politischer und kultureller Arbeit setzt sie sich bei der OSB Alliance leidenschaftlich für ihr Herzensthema Open Source ein. In unserem Gespräch beleuchtet Miriam die entscheidende Rolle der Community-Pflege für offene Technologien, wir sprechen über die Arbeit der OSB Alliance und welche Strukturen noch ausgebaut werden können, um das Innovationspotenzial der Open Source Communities zu entfalten. Willkommen zu einem spannenden Einblick in die Zukunft der digitalen Souveränität!

    Was macht die OSB Alliance?

    Die Open Source Business Alliance – Bundesverband für digitale Souveränität e.V. ist der Industrieverband der deutschen Open-Source-Wirtschaft. Wir vertreten über 200 Mitgliedsunternehmen, die in Deutschland rund 95.000 Mitarbeiter*innen beschäftigen und einen Jahresumsatz von über 126,8 Mrd. Euro erwirtschaften. Zusammen mit unseren wissenschaftlichen Einrichtungen und Anwender*innenorganisationen setzen wir uns dafür ein, die zentrale Bedeutung von Open Source Software und offenen Standards für eine digital souveräne Gesellschaft nachhaltig im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. Dieser digitale Wandel soll Unternehmen, Regierungen, Behörden und Bürgern gleichermaßen zugute kommen. Wir treten dafür ein, Open Source als Standard in der öffentlichen Beschaffung und bei der Forschungs- und Wirtschaftsförderung zu etablieren. Um unsere Ziele zu verwirklichen, stehen wir Unternehmen, Privatpersonen, Medien und der Politik als Expert*innen und Ansprechpartner*innen zur Verfügung.

    Warum ist Netzwerkarbeit besonders im Open Source Kontext wichtig?

    Gerade in der Open-Source-Branche sind viele kleine und mittelgroße Unternehmen aktiv, die miteinander in unterschiedlichsten Konstellationen kooperieren, um gemeinsam Software zu entwickeln oder Dienstleistungen anzubieten. Einige Unternehmen entwickeln Software, wieder andere Unternehmen bieten z.B. Schulungen oder Support für eben diese Software an. Viele Firmen verwenden Software oder Komponenten von anderen Mitgliedern des Open-Source-Ökosystems und bauen diese in ihre eigenen Lösungen ein. Gerade bei größeren Aufträgen schließen sich auch immer wieder Open-Source-Unternehmen zu Konsortien zusammen, um diese Aufträge übernehmen zu können. Die Netzwerkarbeit ist also schon allein aus wirtschaftlicher Sicht total wichtig.

    Insgesamt gibt es im Open-Source-Kontext sehr komplexe Geflechte von Unternehmen, öffentlicher Verwaltung, ehrenamtlichen Communities und Zivilgesellschaft und Wissenschaft, die miteinander agieren und Open Source gemeinsam voranbringen. Dieses vielfältige Ökosystem muss zum einen gepflegt und zum anderen politisch repräsentiert werden. Das übernehmen wir zusammen mit Partnerorganisationen wie z.B. der Free Software Foundation Europe und anderen. Wenn wir uns untereinander vernetzen, können wir unsere gemeinsamen Ziele besser verfolgen und z.B. gegen immer noch verbreitete  Vorurteile und Missverständnisse in Bezug auf Open Source ankämpfen. Gemeinsam können wir deutlich machen, wie groß das Potential von Open Source Software für Gemeinwohl, digitale Souveränität und Gesamtwirtschaft ist.

    techy OPEN-Schild in Leuchtbuchstaben

    Foto von Ben Taylor auf Pexels

    Arbeit an Open-Source-Projekten ist per se auch Netzwerkarbeit. Inwiefern sind Open Source Communities auch relevant für die Arbeit der OSB Alliance? (Gibt es hier andere Beziehungen zwischen Akteuren als in anderen Tech Bereichen?) 

    Viele der Mitgliedsunternehmen der OSB Alliance sind von Personen gegründet worden, die seit langen Jahren in Open-Source-Communities aktiv sind. Das hat diese Personen und damit auch ihre unternehmerische Tätigkeit sehr geprägt, die meisten Open-Source-Unternehmen sind z.B. sehr wertegetrieben. Die Communities spielen für die Open-Source-Unternehmen auch heute noch eine zentrale Rolle, denn viele Open-Source-Lösungen leben von der aktiven Community, die Bugs meldet, Feature Requests weiter gibt und generell die Software mit ihrem Interesse und ihrem Engagement am Leben erhält. Oftmals wechseln Community-Mitglieder irgendwann von der ehrenamtlichen Seite in das entsprechende Unternehmen und machen so quasi ihr Hobby zum Beruf. Die Unternehmen nehmen die Communityarbeit daher auch sehr ernst, viele Firmen haben z.B. eigene Communitymanager*innen, die sich intensiv um den Austausch mit der Community kümmern. Davon profitiert das jeweilige Unternehmen und damit auch wir als Verband.

    Ein häufiges Missverständnis ist, dass Communities automatisch entstehen würden, sobald man eine Open-Source-Lösung hat. Unsere Mitglieder wissen, dass das nicht so ist und dass man in den Aufbau und die Pflege einer Community Zeit und Energie stecken muss. Als Verband klären wir regelmäßig darüber auf, welche zentrale Rolle Communities in der Zusammenarbeit mit kommerziellen Open-Source-Unternehmen spielen.

    Diese Verflechtungen von Open-Source-Unternehmen und dazugehörigen Communities zeigen auch, dass das Besondere an Open Source ist, dass hier nicht nur Mehrwerte für die Wirtschaft entstehen, sondern auch für das Gemeinwohl und die Zivilgesellschaft. Am Ende des Tages sind wir daher ein Wirtschaftsverband, der zum einen die wirtschaftlichen Interessen unserer Mitglieder vertritt, dem aber Gemeinwohlaspekte wie z.B. „Public Money, Public Code“ ebenfalls sehr wichtig sind. Das geht auch aus unseren Leitlinien so hervor. Das unterscheidet uns wahrscheinlich von den meisten anderen Wirtschaftsverbänden. 

    Abstrakte Sprechblasen in verschiedenen Farben

    Foto von DeepMind auf Pexels

    Wie fördert die OSB Alliance den Aufbau von Netzwerken (zwischen Mitgliedern und nach extern)?

    Innerhalb des Verbandes haben wir zahlreiche  Austauschformate zum netzwerken: Die Mitglieder organisieren ihre gemeinsame inhaltliche Themenarbeit in Working Groups und Task Forces mit regelmäßigen Videocalls, über unsere interne Diskussionsplattform humhub und über Veranstaltungen vor Ort wie z.B. den Sovereign Cloud Stack Summit am 14. Mai in Berlin oder unseren jährlichen Netzwerktag im November in Berlin. Diese Events sind immer eine gute Gelegenheit, um sich sowohl unter den Verbandsmitgliedern zu vernetzen als auch mit dem „erweiterten Freundeskreis“ der OSB Alliance. Bei unserem regelmäßigen Format „Members & Products“ steht die Vernetzung der Mitglieder untereinander ganz besonders im Fokus.

    Als Verband haben wir außerdem eine ganze Reihe von Kooperationen mit anderen Organisationen, die ähnliche Ziele verfolgen, wie z.B. die Free Software Foundation Europe oder die Open Logistics Foundation. Je nach Thema gibt es immer mal wieder einzelne Kooperationen mit Organisationen wie z.B. dem Weizenbaum-Institut, Wikimedia Deutschland oder dem Bitkom. 

    Und wir sind als Verband auch selbst Mitglied in anderen Organisationen wie z.B. unseren europäischen Dachverband APELL, in dem die europäischen Open-Source-Business-Verbände organisiert und untereinander vernetzt sind. Einmal im Jahr findet eine große Konferenz der APELL-Mitglieder statt, bei der sich die Mitglieder aus ganz Europa vernetzen. Dieses Jahr ist dieses Netzwerkevent im Juni in Berlin.

    Inwiefern vernetzt sich die OSB Alliance international? Mit wem?

    Neben der bereits angesprochenen Vernetzung in unserem europäischen Dachverband APELL sind wir auch in regelmäßigem Austausch mit dem OpenForum Europe. Mit den hier vernetzen Organisationen, Stiftungen, und Unternehmen haben wir beispielsweise im vergangenen Jahr intensiv den Cyber Resilience Act begleitet und immer wieder kommentiert.

    Außerdem sind bei uns in der OSB Alliance nicht nur deutsche Unternehmen Mitglied, sondern z.B. auch Unternehmen aus Frankreich, der Schweiz oder Österreich, die auch unternehmerisch in Deutschland tätig sind. Daher gibt es immer wieder auch einen Austausch mit unseren Schwesterverbänden in den Nachbarstaaten, z.B. mit CNLL in Frankreich. Und wir besuchen auch regelmäßig Veranstaltungen und Konferenzen in Europa und der ganzen Welt, beispielhaft seien hier mal die „Open Source Experience“ in Paris und der „FOSSASIA Summit“ genannt. Dort vernetzen wir uns international mit anderen Open-Source-Unternehmen und Communities. Eines unserer Mitglieder war auch kürzlich bei einer Delegationsreise des Bundesministerium für Digitales und Verkehr nach Kenia dabei, um sich vor Ort einen Überblick darüber zu verschaffen, welche Rolle Open Source bei lokalen Communities und der öffentlichen Verwaltung spielt.

    Was fehlt noch an Strukturen für die Community um ihr volles Innovationspotenzial entfalten zu können und die nächste Stufe was Anwendung und Akzeptanz angeht zu nehmen?

    Zum einen ist hier der Staat am Zug: Open Source wird zwar in diversen Beschlüssen, dem Koalitionsvertrag, der Digitalstrategie, der Deutschen Verwaltungscloud-Strategie etc. immer wieder positiv hervorgehoben und an vielen Stellen auch schon von der öffentlichen Verwaltung eingesetzt. Aber wenn es darum geht, auch gezielt in das Open-Source-Ökosystem zu investieren, nachhaltige offene Infrastrukturen aufzubauen und Kompetenzen aufzubauen, dann rutscht Open Source bei der Politik schnell wieder nach unten auf der Prioritätenliste und dann wird doch lieber wieder für viele Milliarden Euro proprietäre Software eingekauft – obwohl die Vorzüge von Open Source Software den Beteiligten durchaus bekannt sind. Das muss sich dringend ändern, wir brauchen nicht nur Lippenbekenntnisse, sondern auch mehr konkretes Commitment. Dafür setzen wir uns als Verband politisch ein.

    Wir kümmern uns zum anderen aber auch darum, bestehende Vorurteile und Missverständnisse abzubauen und über die Vorzüge von Open Source für Wirtschaft und Gemeinwohl zu informieren.

    In vielen Fällen ist es auch so, dass Verwaltungen oder Unternehmen auf uns zukommen und sagen „Wir wollen gerne Open Source einsetzen, wissen aber noch nicht so richtig, wo wir anfangen sollen“. Hier versuchen wir Hilfestellungen zu geben und zu unterstützen.

    Wir haben als Verband in den letzten Jahren viel Sichtbarkeit gewonnen und werden daher inzwischen oft für Stellungnahmen oder Projekte angefragt – immer wieder kommen wir dabei an die Grenzen unserer Ressourcen, dabei würden wir gerne noch viel mehr Initiativen und Projektideen auf die Straße bringen. Deswegen freuen wir uns immer über neue Mitglieder, die Lust haben, sich gemeinsam mit uns in einem vielfältigen politischen Themenspektrum für Open Source zu engagieren.

  • Interview Eden Kupermintz

    Portrait von Eden Kupermintz – Credits Twitter / Website.

    Interview mit Eden Kupermintz

    Wir freuen uns im Gastimpuls dieser Ausgabe Eden Kupermintz zu begrüßen. Mit einem Hintergrund in Geschichte, Philosophie und Webentwicklung, sowie seiner Leidenschaft für Science Fiction, Musik und Kultur, hat Eden nicht nur umfangreiche schriftstellerische Erfahrung, sondern auch Einblicke in verschiedene Aspekte der Zukunftsforschung. In diesem Interview werden wir mit Eden über seinen Artikel “Designing Tomorrows” sprechen und dabei nicht nur auf die spekulative Praxis der Science Fiction eingehen, sondern auch auf seine persönlichen Gedanken zu den kreativen Methoden der Zukunftsvorhersage. Willkommen!

    Als jemand, der in verschiedenen Bereichen in utopische und futuristische Kontexte involviert ist, wie nehmen Sie die Rolle von Utopie und Dystopie im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs über die Zukunft wahr?

    Ich würde tatsächlich sagen, dass die derzeitige Rolle von sowohl Utopien als auch Dystopien in unserem aktuellen Diskurs keine gute ist. Beide fungieren als eine Art Schlafmittel, das das Bedürfnis stillt, über die Zukunft zu sprechen und nachzudenken, ohne konkrete Wege in die Zukunft oder sinnvolle materielle Kritiken an unserer Gegenwart anzubieten. Das muss nicht der Fall sein. Wenn Utopien sich beispielsweise auf die komplexen Prozesse konzentrieren, die zu ihrer Entstehung führen können, anstatt das imaginäre Endergebnis zu verherrlichen, können sie ein starker Katalysator für unmittelbares Handeln sein. Auch Dystopien können als “Negativindikatoren” dienen, indem sie ein Licht auf die gegenwärtigen Prozesse und ihre Endresultate werfen, anstatt sich auf den Nervenkitzel zu stürzen, den wir durch die Konzentration auf ihre zum Scheitern verurteilte Zukunft erhalten.

    Unterm Strich müssen Utopien und Dystopien prozessorientiert sein, wenn sie im aktuellen Diskurs nützlich sein sollen. Anstatt zu fragen “Wie sähe es aus, wenn wir hier landen würden?” sollten sie fragen “Nehmen wir an, wir würden hier ankommen. Wie sah der Weg dorthin aus?”

    Die Idee des gemeinsamen Erschaffens von Zukünften ist faszinierend. Wie können Gemeinschaften aktiv an der Vorstellung ihrer Zukünfte teilnehmen, und welche Beispiele haben Sie erlebt, wo dieser kooperative Ansatz erfolgreich war?

    Am Ende des Tages ist die Zukunft ein unbekanntes Territorium, in das wir alle unsere Ängste, Hoffnungen, Annahmen und Vorurteile gießen. Die Zukunft ist kein Ort oder eine Zeit – sie ist ein Werk, sie entsteht. Wir haben diese Vorstellung (übernommen aus der Romantik des 19. Jahrhunderts, zufälligerweise viel davon Germanisch) dass ein Werk in Isolation, durch das “Genie im Turm”, geschaffen wird. Aber die Wahrheit ist, dass alle großen Werke in Zusammenarbeit geschaffen werden, zwischen Wissenschaftler*innen und Assistent*innen, zwischen Musiker*innen und ihrer familiären Geschichte, den Liedern, die sie auf der Straße hören, und dem Rest ihrer Kultur. Zwischen einer Gruppe von Menschen, die sich etwas Neues vorstellen und ihm die Kraft und den Kontext geben, aus dem es entsteht.

    Das beste alltägliche Beispiel dafür ist jeder einzelne Gemeinschaftsgarten, den Sie je gesehen haben. Vor dem Gemeinschaftsgarten steht ein Stück Land. Die Menschen kommen zusammen, um sich gemeinsam vorzustellen, wie diese Fläche aussehen könnte, was sie enthalten könnte und welchen Nutzen sie haben könnte. Sie stellen sich gemeinsam eine Zukunft vor und machen sich dann daran, sie zu verwirklichen. Manchmal werden diese Gärten von Hierarchien aufgebaut, manchmal von Netzwerken. Aber das Entscheidende ist, dass die Menschen einen Weg finden, sich eine Zukunft vorzustellen, in der es einen Garten gibt, und dann machen sie ihn wahr. Natürlich sind Dinge wie Kommunismus, Weltraumforschung, ein Ende der Ungleichheit usw. viel größer und komplexer, aber sie nutzen denselben “Muskel”, nämlich unsere Fähigkeit, zusammenzukommen und gemeinsam etwas zu schaffen.

    Angesichts Ihrer Arbeit an der Pflege eines Online-Archivs wie anarchySF, wie sehen Sie die Rolle digitaler Plattformen bei der Demokratisierung spekulativer Praktiken und der Visionierung zukünftiger Entwicklungen?

    Gar nicht 🙂 Digitale Plattformen sind wichtig und haben eine Menge Macht und Potenzial, aber sie sind einfach nur ein Hilfsmittel, mehr Nährboden als alles andere. Die Netzwerke, die sie schaffen, diktieren den Schwung und die Geschwindigkeit einer Idee, ihre Energie, aber sie führen nicht von Natur aus zu demokratischeren oder gemeinschaftlicheren Ideen. Es liegt an uns, unsere Vorstellungen von der Gestaltung der Zukunft zu hinterfragen, neue und interessante Wege zu finden, um gemeinsam Geschichten darüber zu erzählen, was kommen könnte und was wir sehen wollen, und dann digitale Plattformen zu nutzen, um diese Ideen zu verbreiten und zu ermöglichen. anarchySF ist ein gutes Beispiel – es verbreitet “nur” bestehende Gedanken über verschiedene Zukünfte. Das Archiv selbst ist in keiner Weise revolutionär – es ist einfach ein Gefäß für andere revolutionäre Ideen.

    Schmetterlinge die auf einem blühenden Zweig sitzen, alles ist leicht blau getönt.

    Foto von Karina Vorozheeva auf Unsplash

    Sie betonen die Hoffnung, die in fantastischer, merkwürdiger Science-Fiction steckt, die bestehende Normen herausfordert. Welche Werke oder Projekte würden Sie als Beispiele für diese Art von Science-Fiction empfehlen?

    Meine Lieblingsfrage! Hier ist eine schnelle Liste:
    Elvia Wilk – Oval
    Becky Chambers – To Be Taught If Fortunate
    Jeff Vandermeer – Dead Astronauts und/oder The Strange Bird
    Alex Jennings – The Ballad of Perilous Graves (Fantasy)
    Brian Catling – The Vorrh Trilogy (nicht Sci-Fi, aber auch nichts anderes)
    David R. Bunch – Moderan
    M. John Harrison – Light
    Missouri Williams – The Doloriad
    Rivers Solomon – An Unkindness of Ghosts
    Bonus: Kameron Hurley – The Stars Are Legion.

    Wenn Sie tiefer in eines dieser Beispiele oder meine Gedanken zur revolutionären Science-Fiction eintauchen möchten, können Sie sich diese Episode ansehen, die ich mit dem ausgezeichneten Acid Horizon Podcast gemacht habe, oder meinen Essay über radikale Science-Fiction lesen (er ist lang!).

    Vielen Dank für das schöne Gespräch, Eden!

  • Federated messaging

    Foto von D koi auf Unsplash

    Federated messaging

    In unserer Serie über eine tiefere Auseinandersetzung mit den Tools, die wir bei Konnektiv verwenden, werfen wir heute einen genaueren Blick auf unser Chat-System Matrix / Element. Als wir Konnektiv gründeten, benötigten wir ein Messaging-Tool, um innerhalb des Teams zu kommunizieren. Da alle Gründer*innen sich für private, sichere und Open-Source-Protokolle einsetzten, entschieden wir uns für Signal, das wir alle zuvor sowohl für private als auch geschäftliche Kommunikation verwendet hatten. Wir nutzten verschiedene Gruppen für unterschiedliche Zwecke, und mit der Verwendung von Signal für den Desktop war es eine sehr geeignete Lösung.

    Signal hatte jedoch einen erheblichen Nachteil, als Konnektiv seine ersten Mitarbeitenden hatte: Die Konten waren an eine Telefonnummer gebunden. Und keiner von uns entschied sich dafür, ein Diensthandy zu haben, weil wir uns weder einem zweiten Mobilgerät widmen wollten noch dazu gezwungen sein wollten, Dual-SIM-Geräte zu verwenden. Es war keine wirklich praktikable Option, Signal in dieser Konstellation weiter zu verwenden, da private und geschäftliche Kommunikation miteinander vermischt würden und Mitarbeiter auch an ihren freien Tagen oder Zeiten Benachrichtigungen für neue Nachrichten in ihren Konnektiv-Signalgruppen erhalten würden, was wir vermeiden wollten.

    Unsere Technikabteilung begann dann mit der Evaluierung verschiedener Lösungen. Zu diesem Zeitpunkt bestand unser interner Kommunikations- / Projektworkflow-Stack bereits aus Nextcloud, GitLab, OpenProject und BigBlueButton. Wir benötigten etwas, das die Messaging-Funktionalität von Signal ersetzen würde, ohne zu viel Funktionalität unserer anderen Systeme zu duplizieren. Die beiden finalen Kandidaten in unserer Suche waren Mattermost und Matrix/Element. Während Mattermost im Wesentlichen eine Open-Source-Version von Slack ist, war Element das Messaging-System, nach dem wir suchten.

    Element verwendet die Matrix-API, eine Reihe von offenen APIs für dezentrale Kommunikation. Wir richteten unseren eigenen Matrix-Heimserver und einen Element-Server unter element.konnektiv.de ein. Auf diese Weise konnten Element-Benutzernamen dem gleichen Muster wie unsere E-Mail-Adressen folgen, was es leicht machte, jeden bei Konnektiv über Element zu kontaktieren, wenn man ihre E-Mail-Adresse kannte. user@konnektiv.de wird einfach zu @user:konnektiv.de auf Element.

    Ein Merkmal, das bei diesem Messaging-System hervorsticht, ist die Dezentralisierung, was bedeutet, dass es keine einzelne Entität gibt, die das Netzwerk kontrolliert, sondern dass es sich vielmehr um eine Föderation von Servern handelt, die das Messaging-Netzwerk ausmachen und über die offene Matrix-API miteinander kommunizieren. Föderation ist kein völlig neues Konzept. In den frühen 1980er Jahren wurden Standards entwickelt, um E-Mails zwischen verschiedenen Computernetzwerken zu versenden. In den 1970er Jahren wurden E-Mails hauptsächlich innerhalb desselben Netzwerks verwendet, ohne dass sie Personen in anderen Netzwerken erreichen konnten. Das war die Zeit, als E-Mail föderiert wurde, und wir verwenden es immer noch als Standardkommunikationsmittel zwischen Unternehmen. Diese Möglichkeit der Föderation war wahrscheinlich eines der Schlüsselelemente für den Erfolg von E-Mails bis heute (obwohl es die Big Players in den letzten Jahren immer schwieriger machen, dass kleine Mailserver im Spiel bleiben, was de facto zu einem Oligopol führt).

    Zwei Vögel die miteinander kommunizieren

    Foto von Karina Vorozheeva auf Unsplash

    In den letzten 20 Jahren haben wir uns jedoch an zentral gesteuerte Kommunikationsplattformen wie WhatsApp, Skype, Facebook, Instagram, Twitter usw. gewöhnt, bei denen ein Unternehmen die vollständige Kontrolle über das gesamte Netzwerk hat und entscheiden kann, wer unter welchen Bedingungen Zugang zum Netzwerk erhält, welche Inhalte moderiert, geduldet, gelöscht oder nicht gelöscht werden. Natürlich unterliegt auch dies einer staatlichen Regulierung, aber ob diese tatsächlich befolgt wird, ist eine ganz andere Geschichte. Was passieren kann, wenn diese Art von Macht in den Händen eines Unternehmens liegt, wurde der Welt im letzten Jahr vor Augen geführt, als Elon Musk Twitter kaufte und es im Grunde innerhalb eines Jahres in ein Netzwerk verwandelte, das Rassismus und Homophobie propagiert.

    Aus diesem Grund haben wir von Konnektiv, neben Hunderten von anderen Organisationen, dieses Jahr beschlossen, unsere Aktivitäten auf Twitter Stück für Stück einzustellen und ein Mastodon-Konto eingerichtet. Sie sind herzlich eingeladen, uns auf https://social.tchncs.de/@knnktv zu folgen.

    Wie bei Matrix handelt es sich bei Mastodon um ein föderiertes Netzwerk von Servern, was bedeutet, dass es keine zentrale Kontrolle darüber gibt. Um genau zu sein, ist Mastodon nur ein Dienst innerhalb eines ganzen Netzwerks von föderierten Diensten, dem Fediverse. So wie jeder seinen eigenen Matrix-Home-Server einrichten kann, kann man auch seinen eigenen Mastodon-Server mit einem eigenen Verhaltenskodex und eigenen Moderationsregeln einrichten.

    Kürzlich hat sogar Meta beschlossen, das ActivityPub-Protokoll zu unterstützen, und Threads für die Anbindung an das Fediverse geöffnet, wobei andere Akteure wie Flipboard diesem Schritt erst diese Woche gefolgt sind. Vor allem die Anbindung von Threads an das Fediverse sorgt für Diskussionen unter den Mastodon-Server-Administratoren und -Nutzern darüber, ob sie Threads vollständig sperren sollen, weil Meta es versäumt hat, auf Hassreden angemessen zu reagieren.
    Es wird spannend zu beobachten sein, wohin all diese Bewegung in der Welt der sozialen Medien im kommenden Jahr führen wird.

  • Interview Superrr

    Photo von Muhammad Salah

    Interview mit Superrr

    Für die zweite Ausgabe von Konnektiv_Impuls freuen wir uns, die feministische Organisation Superrr zu begrüßen. Neben dem Fokus auf die Erforschung alternativer Zukünfte und sozialer Auswirkungen neuer Technologien, setzt Superrr auf interdisziplinäre Zusammenarbeit und den Aufbau von Netzwerken. Ihre Vision ist es, gerechtere und inklusivere Zukünfte zu gestalten. In diesem Interview erfahren wir mehr über ihre Expertise in feministischen digitalen Zukünften, Gedanken zur deutschen Digitalpolitik und zu postkolonialer Machtungleichgewichten. Willkommen!

    Die deutsche Regierung verfolgt in ihrer Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit zunehmend feministische Agenden. Was sollte eine intersektionale feministische Digitalpolitik beinhalten und was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Elemente?

    In Anlehnung an die feministische Außenpolitik überschreitet eine feministische Digitalpolitik die Grenzen aktueller digitalpolitischer Perspektiven und nimmt eine proaktive, intersektionale Haltung ein. Feministische Digitalpolitik steht für einen Paradigmenwechsel: weg von “höher, weiter, schneller” hin zu “nachhaltiger, gerechter und menschenzentrierter”. Sie richtet ihre Prioritäten nach sozialen, nicht nur wirtschaftlichen Bedürfnissen aus. Durch eine intersektionale feministische Linse werden soziale Fragen wie Zugang, Mitgestaltung, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit angesprochen. Wenn es uns gelingt, die Perspektiven der Digitalpolitik auf diese Weise zu verändern, wird sie eine ganz andere Wirkung erzielen: Sie hat das Potenzial, Ungleichheiten nicht nur auf gesellschaftlicher, sondern auf globaler Ebene abzubauen.

    Es gibt einen entscheidenden Aspekt, der unserer Meinung nach nicht genügend Beachtung findet: Feministische Digitalpolitik ist ein (⁠Lern⁠-⁠)⁠Prozess und keine Programmatik. In diesem herausfordernden, sich ständig verändernden Politkumfeld müssen wir unsere Methoden kontinuierlich bewerten, lernen und verbessern. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Digitalpolitik: Mit dem selbsterklärten Ziel, einen globalen Effekt zu erzielen, muss Digitalpolitik auch global diskutiert und international gedacht werden, anstatt die Interessen einzelner Nationalstaaten zu verfolgen. Eine feministische Sichtweise kann dabei helfen, diesen lange antrainierten Reflex zu überwinden und radikal andere Politikansätze anzuwenden, welche den Menschen, denen sie dienen sollen, ermächtigen und schützen.

    Wie sieht Ihrer Meinung nach diese Agenda in der deutschen Digitalpolitik aus und gibt es Widersprüche?

    Leider beschränkt sich die deutsche Digitalpolitik sehr auf das vermeintliche geopolitische Wettrennen mit China und den USA. Dieses Narrativ schürt die Angst, dass Europa abgehängt und isoliert wird und wirtschaftlich im Nachteil ist. Deshalb beschränkt sich Digitalpolitik in Europa häufig darauf, auf Entwicklungen in anderen Ländern zu reagieren, statt eigene Leitbilder zu entwickeln und sich auf eigene Stärken zu besinnen. Der Fokus auf beispielsweise China und die USA verstellt außerdem den Blick darauf, dass Digitalthemen eben global sind und wir gerade deshalb breite Allianzen brauchen statt ein Wettrennen. Für uns ist die Idee, dass wir als Gesellschaft um jeden Preis mit jedem neuen technischen Hype mithalten müssen oder schneller sein müssen als andere, ist mit vielen Nachhaltigkeitszielen und sozialpolitischen Ansprüchen nicht vereinbar. Angst ist nie ein guter Ratgeber.

    Es gibt aber auch Hoffnungsschimmer: die Digitalstrategie der Bundesregierung Deutschland von 2022 legt fest, dass sie sich vermehrt mit Machtstrukturen und Denkansätzen wie der feministischen Digitalpolitik auseinander setzen will, um die Risiken und Gefahren der digitalen Transformation besser zu verstehen. Bisher sehen wir dazu nicht wirklich viel, das sich bewegt. Umso mehr ist es ein Ansporn für uns, endlich mehr politisches Handeln einzufordern.

    Welche Rolle kann die organisierte Zivilgesellschaft in Deutschland potenziell spielen, um eine wirklich intersektionale feministische Gestaltung und Umsetzung digitaler Politik in Deutschland zu fördern?

    Politik ist von Natur aus reformistisch. Sie ist meistens nicht in der Lage, die Institutionen, in denen sie praktiziert wird, grundlegend zu verändern und zu transformieren. Ein echter Wandel der politischen Institutionen, insbesondere in Richtung eines intersektionellen feministischen Ansatzes, kann nur stattfinden, wenn die Zivilgesellschaft diesen Wandel vorantreibt und zeigt, wie er umgesetzt werden kann. Andererseits ist die organisierte Zivilgesellschaft nicht unbedingt progressiv, geschweige denn intersektional feministisch. Aber eine intersektionale Allianz von Akteur*innen der Zivilgesellschaft, die progressive Ziele und Werte teilen und ihre Expertise in die Formulierung besserer politischer Forderungen einbringen, kann eine mächtige Bewegung sein. Sie kann nicht nur aufzeigen, wo Politik Ungerechtigkeiten schafft, sie kann auch glaubhaft eine Vision von einer gerechten Welt vermitteln und wie wir sie gemeinsam erreichen können.

    Eine Grafik des Super Labs: Auf Orange-Blau-Rosanem Hintergrund steht das Wort "SUPERRRR" in schwarz und weiß

    Grafik von superrr.net

    Wie trägt die Arbeit von Superrr Lab zu einer intersektionalen feministischen Digitalpolitik in Deutschland bei? Was sind die verschiedenen Aspekte und Projekte, an denen Sie arbeiten?

    Unser Ziel ist es, wünschenswerte Zukünfte zu gestalten, in denen nicht die Gesellschaft digital transformiert wird, sondern die Digitalisierung ihren Beitrag zur sozial-ökologischen Transformation eistet. Wir tun dies durch drei Hauptsäulen unserer Arbeit:

    Erstens unterstützen wir durch unsere Fellowship-Programme „Muslim Futures“ und „Risktakers“Einzelpersonen und erforschen Zukunftserzählungen. Diese Einzelpersonen und kleinen Teams erforschen Erzählungen von den Rändern – Projekte und Ideen, die noch nicht zum Mainstream gehören, aber für ihre Communities wichtig sind, wenn es darum geht, ihre Zukunft aktiv zu gestalten. Ein Beispiel aus dem jüngsten Fellowship ist ein Online-Comic-Magazin, das eine feministische und integrative Vision für die Zukunft des Internets im Nahen Osten und Nordafrika (MENA) vorschlägt. Shatha und Sereen, die als Fellows an diesem Projekt arbeiten, stammen aus Palästina und sind Teil der queeren Gemeinschaften in ihrer Region.

    In unserer Forschungsarbeit untersuchen wir die sozialen Auswirkungen von Technologie, indem wir uns ansehen, wie technologische Folgenabschätzungen durchgeführt werden oder wie Zukunftsforschungsmethoden intersektional gestaltet werden können.

    In unserer feministischen Lobbyarbeit hinterfragen wir die Macht und den Zweck von Technologie in der Gesellschaft, indem wir mit Politikern oder Ministerien zusammenarbeiten, öffentliche Veranstaltungen organisieren oder unsere Website zu feministischen Ansätzen in der Technologiepolitik veröffentlichen.

    Die Vergangenheit anzuerkennen ist ein wichtiger Teil der Arbeit an der Zukunft, die wir wollen. Was ist Ihrer Meinung nach die Rolle, die politische Entscheidungsträger und die Zivilgesellschaft bei der Beseitigung postkolonialer Machtasymmetrien spielen (sollten), insbesondere wenn es um die Macht über Daten geht?

    Digitalpolitische Vorhaben in Deutschland oder der EU haben immer globale Auswirkungen oder sogar den expliziten Anspruch, global wirksam zu sein. Zudem werden sie in einem post-kolonialen Kontext geplant und umgesetzt, was es Europa ermöglicht, von seiner Vormachtstellung zu profitieren. Deshalb sollen Akteur*innen der Digitalpolitik ihre Handlungen in einem globalen Kontext bewerten, Solidarität beweisen und dafür Sorge tragen, das Machtgefälle zu verkleinern.

    So muss eine feministische digitale Außenpolitik auf eine digitale Infrastruktur hinarbeiten, die nicht auf ausbeuterische Arbeit und eine extraktive Wirtschaft im globalen Süden angewiesen ist. Doch die sozial-ökologischen Auswirkungen digitaler Technologien wurden lange Zeit übersehen. KI-Systeme benötigen große Mengen an hochwertigen Trainingsdaten, um zu funktionieren und um sich zu verbessern. Diese Daten werden in der Regel von menschlichen Datenarbeiter*innen bearbeitet, die Aufgaben wie Datenbereinigung, -kommentierung und -kategorisierung übernehmen. Ein Großteil dieser Arbeit wird in Länder mit niedrigen Löhnen ausgelagert, wo die Arbeiter*innen unter ausbeuterischen Arbeitsbedingungen arbeiten. Im Rahmen unserer feministischen Digitalpolitik haben wir mit Content-Moderator*innen in Deutschland und Kenia zusammengearbeitet. Ihre Stimmen sind wichtig, wenn es um politische Debatten geht. Sie müssen Teil der politischen Diskussionen über KI und Arbeit sein.

    Ein Großteil Ihrer jüngsten Arbeit konzentriert sich auf die Arbeitsbedingungen für Moderatoren von Social-Media-Plattformen. Könnten Sie kurz beleuchten, warum es notwendig ist, die prekären Arbeitsbedingungen zu thematisieren und sich für den Schutz der Rechte dieser besonderen Arbeitnehmergruppe aus einer dekolonialen intersektionalen feministischen Perspektive einzusetzen?

    Zu wenige Menschen wissen, dass Content Moderator*innen quasi die Ersteinsatzgruppe der sozialen Medien sind; sie schützen den Rest von uns vor gewalttätigen Inhalten. Sie sehen sich Videos von Mord, Vergewaltigung, Selbstmord und sexuellem Kindesmissbrauch an – damit wir das nicht müssen. Sie arbeiten in dunklen Räumen. Ihre Arbeitgeber*innen wollen nicht, dass man sie sieht, aber sie sitzen hinter den Kulissen und genießen kaum Schutz und Anerkennung. Die Belastung für das Leben der Content-Moderator*innen ist zu hoch, und der Schutz und die Bezahlung sind zu gering. Ein Content-Moderator sagte uns: “Big Tech wird auf dem Rücken der gebrochenen afrikanischen Jugend aufgebaut.” Die meisten Moderator*innen arbeiten in Ländern, die zur globalen Mehrheit gehören, oder kommen aus solchen Ländern.

    Und das ist der Grund, warum wir als intersektionelle feministische Organisation gegen die Ausbeutung von Content-Moderator*innen kämpfen müssen. Diese Überschneidungen von Ungerechtigkeiten machen uns wütend und zeigen, dass die Art und Weise, wie die Digitalisierung derzeit funktioniert, für die ganz wenigen und die ganz Reichen funktioniert. In unserem Verständnis einer feministischen Perspektive müssen die Folgen der Digitalisierung für die gesamte Gesellschaft global bewertet werden – im Kontext der bestehenden Ungleichheiten. Auf dieser Basis sollen Entscheidungs­träger*innen Maßnahmen priorisieren, die denjenigen nutzen, die am negativsten von den Auswirkungen der Digitalisierung betroffen sind. Dieser Prozess, der sich an der Leitlinie „from the Margins to the Center“ orientiert, würde bedeuten, die Moderator*innen in das Zentrum der Entscheidungsfindung zu rücken.

    Wir bedanken uns bei dem Team für das tolle Gespräch!

  • Interview Renata Ávila Pinto

    Foto von George Milton von Pexels

    Interview mit Renata Ávila Pinto

    Konnektiv sprach mit Renata, Expertin für globale Digitalpolitik und Geschäftsführerin der Open Knowledge Foundation, über ihre Perspektiven zu internationaler Zusammenarbeit und digitalem Wandel, insbesondere über ihre Empfehlungen zur zukünftigen Rolle deutscher und europäischer Akteure und Policies für digitale Entwicklungszusammenarbeit.

    Auf globaler Ebene erleben wir einen Wettlauf um die digitale Vorherrschaft in Bezug auf Infrastruktur, Anwendungen und vor allem Daten und KI. Wo sehen Sie die dringlichste Notwendigkeit für die Akteure der internationalen Zusammenarbeit, sich klar zu positionieren und dies auch in die Politik einfließen zu lassen?

    Derzeit sind Entwicklungsländer Spielball im geopolitischen Kampf um die technologische Vorherrschaft zwischen den USA und China. Seitens der USA und anderer westlicher Technologieexporteure wird hier viel Panik geschürt, z.B. im Bereich Cybersicherheit, wo davor gewarnt wird chinesische Lösungen einzusetzen. Wir haben dies in der vorherigen US-Regierung mit Pompeo und dem Clean Network gesehen. In diesem Kampf verlieren in erster Linie die Entwicklungsländer und nicht die Industrieländer, aber Europa zählt hier auch zu den Verlierern, da es derzeit keine Alternative zu den Angeboten der USA oder Chinas bietet. Die europäische internationale Zusammenarbeit muss sich mit dieser aktuellen Situation und der künftigen Rolle Europas auseinandersetzen und anfangen Alternativen in Kooperation mit Ländern des Globalen Südens zu entwickeln.

    Was sind Ihrer Meinung nach die dringlichsten Probleme im Hinblick auf digitale Rechte und digitale Entwicklung?

    Ich denke, dass die wichtigste Maßnahme für die internationale Kooperationsgemeinschaft, insbesondere im Zusammenhang mit der Entwicklungszusammenarbeit, darin besteht, Neutralitätsvereinbarungen zu treffen und eine klare Position zur technischen Neutralität einzunehmen. Länder, die bei der Technologieentwicklung und -bereitstellung führend sind, sollen Entwicklungsländer nicht unter Druck setzen oder dazu zwingen, sich für einen Anbieter zu entscheiden oder technologisch Partei zu ergreifen. Wir haben das zum Beispiel bei 5G gesehen und wir könnten es in Zukunft bei Mikroprozessoren, bei Hardware und bei Software erleben.

    Die Entwicklungsländer müssen selbst entscheiden können, welche Lösungen den Anforderungen und Bedürfnissen ihrer Bevölkerung gerecht werden, einschließlich die der ärmsten Menschen. Was wir heute erleben, ist ein Mangel an Autonomie bei der Wahl der billigsten, nachhaltigsten oder effektivsten Lösung aufgrund politischer Prozesse. Deshalb sollten die Akteure der internationalen Zusammenarbeit dazu Stellung nehmen:

    Eine gute Entwicklungspolitik sollte die Neutralität in Bezug auf digitale Hardware, Software und Dienstleistungen gewährleisten.

    Die deutsche Regierung äußert sich sehr verbal über ihre Ziele, auf deutsche und europäische digitale Souveränität hinzuarbeiten, und zeigt auch deutlich ihre Bemühungen, ihre Partnerländer bei der Erreichung digitaler Souveränität zu unterstützen. Wie kann Deutschland Ihrer Meinung nach digitale Souveränität in Ländern des Globalen Südens am besten unterstützen? Welche politischen, technologischen und infrastrukturellen Maßnahmen sind erforderlich und wie können diese partnerschaftlich gestaltet werden?

    Deutschland und Europa verfolgen derzeit eine Politik die durch intensive Durchsetzung von Urheberrechten und Patenten gekennzeichnet ist. Die digitale Souveränität in den Ländern des Globalen Südens könnte aber besser unterstützt werden, wenn stattdessen lokale und internationale Innovation gefördert würden. Dies sollte insbesondere durch offene Innovation und das Teilen offener Ressourcen geschehen. Offene Technologie bzw. offene Innovation kann Länder des Globalen Südens in die Lage versetzen, zu verstehen, wie die deutschen Technologien funktionieren und darauf aufbauend zu innovieren, anstatt gezwungen zu sein, sie zu nur zu übernehmen. Ich denke, dass ein Ansatz der offenen Innovation, der offenen Patente und der offenen Urheberrechte äußerst vorteilhaft wäre, um die technologischen Innovationen, die Deutschland der Welt bietet, zu lokalisieren und anzupassen.

    Im Hinblick auf Infrastruktur wird die Interoperabilität der Schlüssel sein. Ich denke, wir sollten uns nicht darauf fixieren, ob europäische Standards „besser“ sind als chinesische Standards, sondern sicherstellen, dass interoperable Standards adaptiert werden. Wenn ich zum Beispiel einen in China hergestellten Computer und eine in den USA hergestellte Tastatur habe und einen Monitor aus der Europäischen Union anschließen möchte, kann ich das problemlos tun. Diese Art der Interoperabilität würde den Bedürfnissen der Menschen in den Entwicklungsländern besser gerecht werden als die Auferlegung eigener Standards, die auch eine Form des digitalen Kolonialismus sein kann.

    Bei der Gestaltung von Partnerschaften ist es wichtig, Ungleichgewichte anzuerkennen, wie etwa den unbestreitbaren technologischen Vorsprung Deutschlands gegenüber den meisten Ländern des globalen Südens. Daher denke ich, dass wir die Ungleichheiten in Bezug auf das technologische Wissen abbauen sollten durch einen Ansatz des globalen geistigen Eigentums.

    Renata Ávila Pinto

    Foto von Renata Ávila Pinto, Expertin für globale Digitalpolitik und Geschäftsführerin der Open Knowledge Foundation.

    Welche Partnerschafts- und Kooperationsformate würden Sie sich als Nichtregierungsorganisation (NRO) wünschen, um mit europäischen Partnern effektiver an digitalen Themen arbeiten zu können?

    Ich denke, dass das Dringendste ist, diese geopolitische Schlacht und dieses technologische Wettrüsten zu beenden. Ich denke, wir müssen einen Raum für die digitale Entwicklung bewahren, der kooperativ und nicht konfrontativ ist, und nicht nur ein weiterer Raum der Vorherrschaft. Dieser Diskurs über Zusammenarbeit und Kooperation ist in den letzten Jahren verloren gegangen, weil einige Regierungen und Unternehmen ein Wettrüsten veranstaltet haben, um zu dominieren und so schnell wie möglich an die Daten der Unbeteiligten zu kommen.

    Anstatt es so zu verteilen, dass die Länder ihr Potenzial für die digitale Entwicklung wirklich ausschöpfen können, haben wir die Entwicklungsländer dazu gedrängt, importierte extraktive Lösungen anzunehmen. Was wir brauchen, ist nicht Konnektivität um der Konnektivität willen, um der Datenextraktion willen, sondern eine sinnvolle Konnektivität, die es den Ländern ermöglichen sollte, den wirtschaftlichen und grünen Wandel zu bewältigen.

    Als Open Knowledge Foundation glaube ich, dass die Art von Partnerschaften und Formaten der Zusammenarbeit mit europäischen Partnern zu digitalen Themen effektiver sein werden, wenn sie langfristig angelegt sind.

    Ich denke, es ist großartig, Gipfeltreffen zu veranstalten und sich einmal im Jahr zu treffen, aber ich glaube, wir brauchen vor allem eine stabile, mehrjährige Finanzierung, die es ermöglicht verschiedene Interessengruppen zusammenzubringen, interdisziplinär zwischen NRO und Wissenschaft zu arbeiten sowie eine Zusammenarbeit mit anderen Akteursgruppen wie innovativen, kleinen Unternehmen und dem sozialen Businesssektor fördert.

    Wir brauchen auch eine effektivere Zusammenarbeit zwischen NROs aus dem Globalen Süden mit europäischen Partnern zu digitalen Rechten und digitalpolitischen Themen. Wichtig ist, dass es sich dabei nicht um eine Dynamik von Regelmachern und Regelnehmern handeln sollte. Europa muss akzeptieren, dass Länder außerhalb Europas möglicherweise andere Anforderungen an die zu ergreifenden Maßnahmen haben.

    Deutschland arbeitet derzeit an einer neuen internationalen Digitalstrategie. Welche wichtigen Punkte sollten darin enthalten sein?

    Ich würde empfehlen, in die neue deutsche internationale Digitalstrategie eine flexible Beschaffungsklausel aufzunehmen. Ein Schlüsselthema ist wirklich die Synchronisierung von Entwicklungs- und Handelspolitik in der Europäischen Union. Andernfalls ist die digitale Entwicklungszusammenarbeit zum Scheitern verurteilt, da kleine und mittlere Unternehmen im globalen Süden, die ihre eigenen digitalen Lösungen entwickeln, aufgrund von Preisbeschränkungen, Materialbeschränkungen, Beschränkungen bei den Standards usw. niemals auf Augenhöhe mit europäischen Unternehmen konkurrieren können.

    Es ist viel von einem kleinen Unternehmen im globalen Süden zu verlangen den Rückstand aufzuholen, und wenn die Länder Beschaffungsvorschriften ausarbeiten, die die lokalen Anbieter gegenüber den internationalen Anbietern bevorzugen, ist dies ein Verstoß gegen die Handelsregeln.

    Es ist also eine Henne-Ei-Situation. So werden lokale Unternehmen niemals lokale Lösungen und Dienstleistungen anbieten können, weil internationale Unternehmen immer einen Vorsprung haben werden. Ich denke, dass es unabdingbar ist, eine neue fairere Handelspolitik, die auch Datenpolitik beinhalten kann, brauchen, um einen faireren digitalen Wandel zu erreichen.

    Wir bedanken uns bei Renata für den spannenden Input! Erfahren Sie mehr über die Open Knowledge Foundation und ihre Geschäftsführerin in unseren Einblicken & Ausblicken.