Interview Renata Ávila Pinto
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Renata Ávila Pinto
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#digitaleSouveränität #offeneInnovation
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Interview mit Renata Ávila Pinto
Konnektiv sprach mit Renata, Expertin für globale Digitalpolitik und Geschäftsführerin der Open Knowledge Foundation, über ihre Perspektiven zu internationaler Zusammenarbeit und digitalem Wandel, insbesondere über ihre Empfehlungen zur zukünftigen Rolle deutscher und europäischer Akteure und Policies für digitale Entwicklungszusammenarbeit.
Auf globaler Ebene erleben wir einen Wettlauf um die digitale Vorherrschaft in Bezug auf Infrastruktur, Anwendungen und vor allem Daten und KI. Wo sehen Sie die dringlichste Notwendigkeit für die Akteure der internationalen Zusammenarbeit, sich klar zu positionieren und dies auch in die Politik einfließen zu lassen?
Derzeit sind Entwicklungsländer Spielball im geopolitischen Kampf um die technologische Vorherrschaft zwischen den USA und China. Seitens der USA und anderer westlicher Technologieexporteure wird hier viel Panik geschürt, z.B. im Bereich Cybersicherheit, wo davor gewarnt wird chinesische Lösungen einzusetzen. Wir haben dies in der vorherigen US-Regierung mit Pompeo und dem Clean Network gesehen. In diesem Kampf verlieren in erster Linie die Entwicklungsländer und nicht die Industrieländer, aber Europa zählt hier auch zu den Verlierern, da es derzeit keine Alternative zu den Angeboten der USA oder Chinas bietet. Die europäische internationale Zusammenarbeit muss sich mit dieser aktuellen Situation und der künftigen Rolle Europas auseinandersetzen und anfangen Alternativen in Kooperation mit Ländern des Globalen Südens zu entwickeln.
Was sind Ihrer Meinung nach die dringlichsten Probleme im Hinblick auf digitale Rechte und digitale Entwicklung?
Ich denke, dass die wichtigste Maßnahme für die internationale Kooperationsgemeinschaft, insbesondere im Zusammenhang mit der Entwicklungszusammenarbeit, darin besteht, Neutralitätsvereinbarungen zu treffen und eine klare Position zur technischen Neutralität einzunehmen. Länder, die bei der Technologieentwicklung und -bereitstellung führend sind, sollen Entwicklungsländer nicht unter Druck setzen oder dazu zwingen, sich für einen Anbieter zu entscheiden oder technologisch Partei zu ergreifen. Wir haben das zum Beispiel bei 5G gesehen und wir könnten es in Zukunft bei Mikroprozessoren, bei Hardware und bei Software erleben.
Die Entwicklungsländer müssen selbst entscheiden können, welche Lösungen den Anforderungen und Bedürfnissen ihrer Bevölkerung gerecht werden, einschließlich die der ärmsten Menschen. Was wir heute erleben, ist ein Mangel an Autonomie bei der Wahl der billigsten, nachhaltigsten oder effektivsten Lösung aufgrund politischer Prozesse. Deshalb sollten die Akteure der internationalen Zusammenarbeit dazu Stellung nehmen:
Eine gute Entwicklungspolitik sollte die Neutralität in Bezug auf digitale Hardware, Software und Dienstleistungen gewährleisten.
Die deutsche Regierung äußert sich sehr verbal über ihre Ziele, auf deutsche und europäische digitale Souveränität hinzuarbeiten, und zeigt auch deutlich ihre Bemühungen, ihre Partnerländer bei der Erreichung digitaler Souveränität zu unterstützen. Wie kann Deutschland Ihrer Meinung nach digitale Souveränität in Ländern des Globalen Südens am besten unterstützen? Welche politischen, technologischen und infrastrukturellen Maßnahmen sind erforderlich und wie können diese partnerschaftlich gestaltet werden?
Deutschland und Europa verfolgen derzeit eine Politik die durch intensive Durchsetzung von Urheberrechten und Patenten gekennzeichnet ist. Die digitale Souveränität in den Ländern des Globalen Südens könnte aber besser unterstützt werden, wenn stattdessen lokale und internationale Innovation gefördert würden. Dies sollte insbesondere durch offene Innovation und das Teilen offener Ressourcen geschehen. Offene Technologie bzw. offene Innovation kann Länder des Globalen Südens in die Lage versetzen, zu verstehen, wie die deutschen Technologien funktionieren und darauf aufbauend zu innovieren, anstatt gezwungen zu sein, sie zu nur zu übernehmen. Ich denke, dass ein Ansatz der offenen Innovation, der offenen Patente und der offenen Urheberrechte äußerst vorteilhaft wäre, um die technologischen Innovationen, die Deutschland der Welt bietet, zu lokalisieren und anzupassen.
Im Hinblick auf Infrastruktur wird die Interoperabilität der Schlüssel sein. Ich denke, wir sollten uns nicht darauf fixieren, ob europäische Standards „besser“ sind als chinesische Standards, sondern sicherstellen, dass interoperable Standards adaptiert werden. Wenn ich zum Beispiel einen in China hergestellten Computer und eine in den USA hergestellte Tastatur habe und einen Monitor aus der Europäischen Union anschließen möchte, kann ich das problemlos tun. Diese Art der Interoperabilität würde den Bedürfnissen der Menschen in den Entwicklungsländern besser gerecht werden als die Auferlegung eigener Standards, die auch eine Form des digitalen Kolonialismus sein kann.
Bei der Gestaltung von Partnerschaften ist es wichtig, Ungleichgewichte anzuerkennen, wie etwa den unbestreitbaren technologischen Vorsprung Deutschlands gegenüber den meisten Ländern des globalen Südens. Daher denke ich, dass wir die Ungleichheiten in Bezug auf das technologische Wissen abbauen sollten durch einen Ansatz des globalen geistigen Eigentums.
Foto von Renata Ávila Pinto, Expertin für globale Digitalpolitik und Geschäftsführerin der Open Knowledge Foundation.
Welche Partnerschafts- und Kooperationsformate würden Sie sich als Nichtregierungsorganisation (NRO) wünschen, um mit europäischen Partnern effektiver an digitalen Themen arbeiten zu können?
Ich denke, dass das Dringendste ist, diese geopolitische Schlacht und dieses technologische Wettrüsten zu beenden. Ich denke, wir müssen einen Raum für die digitale Entwicklung bewahren, der kooperativ und nicht konfrontativ ist, und nicht nur ein weiterer Raum der Vorherrschaft. Dieser Diskurs über Zusammenarbeit und Kooperation ist in den letzten Jahren verloren gegangen, weil einige Regierungen und Unternehmen ein Wettrüsten veranstaltet haben, um zu dominieren und so schnell wie möglich an die Daten der Unbeteiligten zu kommen.
Anstatt es so zu verteilen, dass die Länder ihr Potenzial für die digitale Entwicklung wirklich ausschöpfen können, haben wir die Entwicklungsländer dazu gedrängt, importierte extraktive Lösungen anzunehmen. Was wir brauchen, ist nicht Konnektivität um der Konnektivität willen, um der Datenextraktion willen, sondern eine sinnvolle Konnektivität, die es den Ländern ermöglichen sollte, den wirtschaftlichen und grünen Wandel zu bewältigen.
Als Open Knowledge Foundation glaube ich, dass die Art von Partnerschaften und Formaten der Zusammenarbeit mit europäischen Partnern zu digitalen Themen effektiver sein werden, wenn sie langfristig angelegt sind.
Ich denke, es ist großartig, Gipfeltreffen zu veranstalten und sich einmal im Jahr zu treffen, aber ich glaube, wir brauchen vor allem eine stabile, mehrjährige Finanzierung, die es ermöglicht verschiedene Interessengruppen zusammenzubringen, interdisziplinär zwischen NRO und Wissenschaft zu arbeiten sowie eine Zusammenarbeit mit anderen Akteursgruppen wie innovativen, kleinen Unternehmen und dem sozialen Businesssektor fördert.
Wir brauchen auch eine effektivere Zusammenarbeit zwischen NROs aus dem Globalen Süden mit europäischen Partnern zu digitalen Rechten und digitalpolitischen Themen. Wichtig ist, dass es sich dabei nicht um eine Dynamik von Regelmachern und Regelnehmern handeln sollte. Europa muss akzeptieren, dass Länder außerhalb Europas möglicherweise andere Anforderungen an die zu ergreifenden Maßnahmen haben.
Deutschland arbeitet derzeit an einer neuen internationalen Digitalstrategie. Welche wichtigen Punkte sollten darin enthalten sein?
Ich würde empfehlen, in die neue deutsche internationale Digitalstrategie eine flexible Beschaffungsklausel aufzunehmen. Ein Schlüsselthema ist wirklich die Synchronisierung von Entwicklungs- und Handelspolitik in der Europäischen Union. Andernfalls ist die digitale Entwicklungszusammenarbeit zum Scheitern verurteilt, da kleine und mittlere Unternehmen im globalen Süden, die ihre eigenen digitalen Lösungen entwickeln, aufgrund von Preisbeschränkungen, Materialbeschränkungen, Beschränkungen bei den Standards usw. niemals auf Augenhöhe mit europäischen Unternehmen konkurrieren können.
Es ist viel von einem kleinen Unternehmen im globalen Süden zu verlangen den Rückstand aufzuholen, und wenn die Länder Beschaffungsvorschriften ausarbeiten, die die lokalen Anbieter gegenüber den internationalen Anbietern bevorzugen, ist dies ein Verstoß gegen die Handelsregeln.
Es ist also eine Henne-Ei-Situation. So werden lokale Unternehmen niemals lokale Lösungen und Dienstleistungen anbieten können, weil internationale Unternehmen immer einen Vorsprung haben werden. Ich denke, dass es unabdingbar ist, eine neue fairere Handelspolitik, die auch Datenpolitik beinhalten kann, brauchen, um einen faireren digitalen Wandel zu erreichen.
Wir bedanken uns bei Renata für den spannenden Input! Erfahren Sie mehr über die Open Knowledge Foundation und ihre Geschäftsführerin in unseren Einblicken & Ausblicken.